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Chronisches Fatigue-Syndrom: „Ich fühle mich ständig, als hätte ich den schlimmsten Hangover meines Lebens“

In den Jahren, in denen ich vergeblich nach einer Erklärung für meine Symptome gesucht habe, hätte ich jemanden gebraucht, der offen über seine Gesundheit spricht. Genau deswegen schreibe ich diese Kolumne über das chronische Fatigue-Syndrom (ME/CFS). Diese Offenheit hilft mir und hoffentlich anderen Betroffenen. Denn dadurch entsteht ein Austausch, ein Verständnis füreinander. Wir sind nicht allein!

Unsere Kolumnistin ist vom chronischen Fatigue-Syndrom betroffen. Hier erzählt sie, wie sie mit dieser Erkrankung erwachsen wird.

Frau Bett
© Getty Images/ Photo by Rafa Elias

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Viele kennen es wahrscheinlich, man sitzt abends, nach einem stressigen Arbeitstag gemütlich auf dem Sofa und gönnt sich ein Gläschen Wein. Doch ab wann sollte man seinen Alkoholkonsum bedenken?

Wir leben in einer Zeit, in der wir von unseren Körpern immer 100 % verlangen – doch was ist, wenn dein Körper dir diese 100 % nicht geben kann? Was tun, wenn dein Körper wegen einer Krankheit nicht mehr das macht, was er soll? Ich heiße Paula, bin 19 Jahre alt und muss täglich mit genau diesem Gefühl leben. Denn seitdem ich elf Jahre alt bin, leide ich am chronischen Fatigue-Syndrom. Warum ich mir davon nicht die Lebensfreude nehmen lasse und woran es liegt, dass du von dieser Krankheit höchstwahrscheinlich noch nie gehört hast, liest du hier.

Was ist das chronische Fatigue-Syndrom?

ME/CFS steht für Myalgische Enzephalomyelitis – ein Zungenbrecher, weshalb ich die fünf Buchstaben bevorzuge oder aber vom chronischen Fatigue-Syndrom spreche. Es gibt viele Namen für die Krankheit, die seit über acht Jahren mein gesamtes Leben bestimmt. Eingestuft ist ME/CFS als schwere, chronische neuroimmunologische Erkrankung mit unzähligen verschiedenen Symptomen.

Die Krankheit ist bei jedem Betroffenen unterschiedlich stark ausgeprägt, Symptome können verschwinden, sich verändern, stärker werden oder es kommen neue dazu. Ein einheitliches Krankheitsbild gibt es nicht.

Wenn selbst Zähneputzen zum Kraftakt wird

250.000 andere Menschen und ich leiden aber unter den Hauptsymptomen des chronischen Fatigue-Syndroms, die da wären: krankhafte Erschöpfung, eine Zustandsverschlechterung nach jeglicher körperlicher und geistiger Aktivität, Dauerschmerzen im Kopf, den Gelenken und Muskeln sowie Schlafprobleme und Störungen des Immunsystems. Oder wie ich es gerne beschreibe: „Ich fühle mich, als hätte ich den schlimmsten Hangover meines Lebens, obwohl ich keinen Schluck Alkohol angerührt habe!“.

Viele Menschen mit ME/CFS haben zu wenig Kraft, um ihr Bett zu verlassen und sind daher auf Pflege von Familie und Freunden angewiesen. Teilweise geht die körperliche Behinderung so weit, dass sich Betroffene aufgrund mangelnder Kräfte nicht einmal allein die Zähne putzen können.

Die Forschung bei ME/CFS lässt jedoch zu wünschen übrig. Man ist sich recht sicher, dass Viren der Auslöser für die Krankheit sind. Viren wie der Eppstein-Barr-Virus oder das Coronavirus. Ein guter Arzt oder eine gute Ärztin kann also mit der richtigen Diagnostik ME/CFS feststellen, jedoch kann er oder sie uns Betroffenen nicht helfen. Die Symptome bleiben trotzdem. Und mit ihnen bleiben Frust, Trauer und Ängste. Jeden Tag ein Auf und Ab der Gefühle.

Frau Sand erschöpft
„Die Symptome bleiben trotzdem. Und mit ihnen Frust. Trauer. Ängste. Jeden Tag ein Auf und Ab der Gefühle.“ Foto: imago images/Addictive Stock

Ich bin durch das chronische Fatigue-Syndrom erwachsen geworden

Mit 11 Jahren wurden bei mir die ersten Symptome deutlich. Ich bin nun 19 Jahre alt und kenne ein anderes Leben gar nicht mehr. Ich bin mit – oder besser gesagt durch – meine Krankheit erwachsen geworden.

Ich habe in dieser Zeit viele Dinge durchgemacht. Jahrelang konnten Ärzt:innen meine verschiedenen Symptome nicht einordnen. Ich lebte in Ungewissheit, so verzweifelt, dass ich dachte, ich bilde mir die Symptome ein. Erst vor zwei Jahren, nach vielen Arztbesuchen und vielen Gesprächen, bekam ich endlich eine Erklärung für alles – ich bekam endlich meine Diagnose.

Für andere mag es komisch klingen, wie sehr ich mich über die Diagnose einer solchen Krankheit gefreut habe. Aber endlich hielt ich etwas in der Hand. Schwarz auf weiß. Ich bildete mir nichts ein, es war nicht nur in meinem Kopf. Endlich hatte ich den Beweis, den ich seit Langem gesucht habe. Denn der größte Kampf dieser Zeit war nicht etwa gegen meinen Körper – nein, das Schlimmste und Anstrengendste war, allen Ärzt:innen und Bekannten zu beweisen, dass ich nicht simuliere.

Eine unsichtbare Krankheit

Obwohl ME/CFS eine große Auswirkung auf unsere Körper hat, kann man diese nicht auf den ersten Blick sehen. Das chronische Fatigue-Syndrom ist unsichtbar. Es gibt kein Merkmal, das direkt auf diese Krankheit schließen lässt. Chronische Krankheiten werden sehr schnell falsch diagnostiziert. Was man nicht sehen kann, ist nicht da. Diese Arten von Krankheiten werden von Ärzt:innen sehr schnell als „psychischer Fall“ abgestempelt.

Jahrelang wurde ich nicht richtig untersucht, da die Ärzt:innen der festen Überzeugung waren, dass ich als 11-jähriges Mädchen nur magersüchtig sein könne. Jedes einzelne Symptom wurde auf meine angeblich psychische Krankheit geschoben. Was nicht dazu gepasst hat, wurde passend gemacht. Als ich älter wurde, wurde meine „psychische Krankheit“ mir dann angepasst. Ich hätte „Schulangst“, würde mich in alles zu sehr hineinsteigern und solle mit einem Psychologen oder einer Psychologin darüber reden.

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Fehldiagnose: „Magersucht“

Die Diagnose „Magersucht“ kam am Anfang sehr schnell, da ich in kurzer Zeit sehr viel Gewicht verloren hatte. Dass ich immer mehr Gewicht verlor, trotz Nahrungsaufnahme und hochkalorischer Drinks aus dem Krankenhaus, schien niemanden zu interessieren. Die Fehldiagnose: „Magersucht“ war gestellt und Änderungen ausgeschlossen.

Oft wird das chronische Fatigue-Syndrom auch mit Depressionen verwechselt. Es gibt viele ähnliche Symptome – das nicht Verlassen des Bettes, keine Kraft für kleinste Aktivitäten, Abschotten von Freunden etc. Die Krankheiten haben Gemeinsamkeiten – ohne Frage – doch wer einmal genauer hinhört und sich Zeit für seine Patient:innen nimmt, merkt sofort den Unterschied. Depressionen kann man beispielsweise durch körperliche Aktivitäten verbessern – ME/CFS nicht.

Frau erschöpft
„Depressionen kann man beispielsweise durch körperliche Aktivitäten verbessern – ME/CFS nicht.“ Foto: imago images/Addictive Stock

Liebe Ärzte und Ärztinnen, nehmt mich bitte ernst!

Beides sind sehr ernstzunehmende Krankheiten. Es tut weh, nicht ernst genommen zu werden und sich sogar rechtfertigen zu müssen. Es gibt unzählige Menschen, denen nicht zugehört wird – die wissen, dass ihre Symptome nicht psychischer Natur sind, aber nichts ändern können, die tagtäglich dafür kämpfen, eine Anerkennung ihrer Symptome zu bekommen, doch vergeblich.

Mein Gefühl ist: Was ein Arzt oder eine Ärztin nicht kennt, das gibt es nicht und ist daher psychisch. Zumindest habe ich in acht Jahren nur sehr wenige Ärzt:innen gefunden, die sich auch nur eine Minute genommen haben, um mir wirklich zuzuhören, um zu verstehen, was meine Probleme sind.

Als ich vor zwei Jahren meine lang erwünschte Diagnose bekommen habe, war ich unfassbar glücklich. Nun musste ich endlich nicht mehr vorspielen, dass ich einfach schlecht geschlafen habe, musste nicht immer antworten, dass ich nicht weiß, weshalb ich so oft krank bin, sondern konnte ganz einfach antworten „Ich habe ME/CFS“. Nicht, dass jemand die Krankheit kannte. Leider ist sie noch zu unbekannt. Aber trotzdem! Es gab mir ein sehr gutes Gefühl. Endlich durfte ich zugeben, dass eben nicht alles gut ist.

Noch nie in meinem Leben habe ich mich so verstanden gefühlt

Ich habe damals im Internet direkt nach meiner Krankheit „ME/CFS“ gesucht. Und siehe da, es gab Beiträge. Noch nie in meinem Leben habe ich mich so verstanden gefühlt. Endlich haben meine Symptome einen Sinn ergeben. Ich habe mir Dokumentationen angeschaut und so schlimm wie es ist, andere Menschen leiden zu sehen – ich war nicht mehr allein.

Technisch gesehen war ich zwar nie eine Alleinkämpferin, da ich von Anfang an die beste Unterstützung von meiner Familie, meinen Freund:innen und meinen Lehrer:innen hatte, doch konnte niemand nachempfinden, wie es mir ging. Mein Vergleich mit dem Hangover kommt nun mal nicht ansatzweise an das, was ich wirklich täglich empfinde und welche Schmerzen ich habe. Und dort im Internet gab es endlich andere Menschen, die das Gleiche durchleben und mich verstehen können.

Obwohl man meinen könnte, dass ich in all den Jahren alles über meine Gesundheit und mich gelernt habe, ist das leider nicht so. Eigentlich sollte ich inzwischen damit umgehen können – immerhin ist das ja meine Art von Normalität, aber so ist es nicht.

Kein Tag ist wie der davor – mein Segen und Fluch zugleich

Ich hasse meine Krankheit dafür, dass sie so unberechenbar ist. Manchmal bin ich aber auch froh darüber und ich werde euch auch erklären, weshalb. Wie bereits erwähnt, ist die Krankheit bei jedem sehr unterschiedlich ausgeprägt, weshalb ich hier hauptsächlich für mich sprechen kann. Meine Gesundheit ändert sich phasenweise und in diesen Phasen auch stündlich. Meistens gibt es einen „Trigger“, den ich nicht voraussehen kann, im Nachhinein weiß ich aber meistens, woran es lag.

Das kann eine stressige Phase gewesen sein, Klausuren, oder einfach zu viele alltägliche Termine. Es kann meinen Körper triggern, wenn ich zu viel, aber auch zu wenig Nahrung aufnehme, und dann kommt es auch auf das Essen an. Zu viel Sport tut mir nicht gut, aber gar keine Bewegung führt bei mir auch zu einer Zustandsverschlechterung – im Endeffekt kann meinen Körper alles triggern.

Eine schlechte Phase hält bei mir meistens einen Monat an. Am Anfang versuche ich immer, sie zu bekämpfen und zu ignorieren, bis ich dann so schlimme Schmerzen und so wenig Energie habe, dass ich zwei Wochen mein Zimmer nicht verlassen kann.

Und so sehr dieses Auf und Ab ein Kampf für mich ist, so sehr hat es auch etwas Gutes. Ich habe immer Hoffnung. Manchmal ist sie sehr klein, aber im nächsten Moment umso größer. Ich weiß, dass mein Zustand wieder besser werden kann, wieder besser wird. Dass nichts ewig anhält und ich mich irgendwann wieder in einer besseren Phase befinden werde.

Frau Skateboard
„Ich weiß, dass mein Zustand wieder besser werden kann, wieder besser wird.“ Foto: imago images/Addictive Stock

Eines bleibt: Meine Hoffnung und das Wissen darum, dass ich nicht allein bin

Mein Leben mit dem chronischen Fatigue-Syndrom ist eine absolute Achterbahn der Gefühle, für mich, meine Familie und meine Freund:innen. An einem Tag geht es mir gut, am nächsten schaffe ich es nicht aus dem Bett. In einem Moment möchte ich Dinge erleben und nehme mir Aktivitäten mit Freund:innen vor, im nächsten sage ich alles ab. Mal glaube ich, dass ich eine großartige Zukunft haben werde, eine Zukunft, in der es mir kontinuierlich gut geht, dann wieder habe ich fürchterliche Angst, dass dieser Alptraum niemals endet.

Manchmal akzeptiere ich meine Vergangenheit vollkommen, mit all den Kämpfen gegen die Ärzte und Ärztinnen und manchmal weine ich, wenn mir auch nur ein Satz von ihnen einfällt. Oft arbeite ich mit meinem Körper, oft aber auch gegen ihn. Ich empfinde ihm gegenüber Hass, weil er einfach nicht funktioniert, aber gleichzeitig liebe ich ihn dafür, dass er mich schon bis hierher gebracht hat.

Ich weiß, dass es nicht nur mir so geht. Auch wenn das chronische Fatigue-Syndrom noch nicht weit bekannt ist, wenn man einmal nach Betroffenen Ausschau hält, wird einem bewusst, wie viele es eigentlich gibt. Und wir brauchen diesen Austausch. Wir brauchen Menschen, die alles nachvollziehen können. Wir brauchen dieses Verständnis. Und genau aus diesem Grund nehme ich euch auch künftig bei meinem Gefühlschaos mit…

Weitere Infos zu Mecfs von Start — Deutsche Gesellschaft für ME/CFS (mecfs.de)