Caro Gugu hat nach eigenen Angaben bereits 160 Kilogramm gewogen, aber auch schon 49 Kilo. Sie sagt: „In meinen 31 Lebensjahren habe ich meinen Körper die meiste Zeit gehasst“. Heute ist Caro Körperaktivistin und vertritt das Projekt „Dein Körper ist genug“. Im Interview erklärt Caro, wie wichtig es ist, gesellschaftlichen Zwängen und Normen zu entgehen. Das erreichen wir zum Beispiel, indem wir uns selbst nackt fotografieren.
Trigger Warnung! Dieser Artikel befasst sich mit Essstörungen und Körperhass. Wenn dich diese Themen triggern, solltest du den Artikel bitte nicht (alleine) lesen.
Caro Gugu über Körperhass und Essstörungen
wmn: Wer oder was war der Grund, dass du deinen Körper gehasst hast?
Caro Gugu: Es war keine spezifische Person. Ich denke, es war das Umfeld generell. Und natürlich mein Konsum. Nicht nur das Essen, sondern auch die Medien. Tatsächlich bin ich schon moppelig ich auf die Welt gekommen und hatte bei der Geburt bereits fünf Kilo auf der Waage.
Bis in meine Teenager-Jahre war meine Mutter diejenige, die mich sowohl gemobbt hat, als auch ein Vorbild war, weil sie selber sehr kurvig war. Sie brachte gut 160 Kilo auf die Waage. Zudem war sie aber immer eine sehr präsente Frau; sie war eine Führungskraft und hat da ihre Rolle sehr gelebt.
Ich muss die Türen erweitern, du kommst nicht mehr durch.
Caro Gugus Mama
Mit Mobbing meine ich so was wie „Ich muss die Türen erweitern, du kommst nicht mehr durch.“ Was lächerlich ist, weil sie ja mehr wog als ich. Ich hatte also nie das beste Verhältnis zu meiner Mutter.
wmn: Es klingt so.
Caro Gugu: Trotzdem ist meine Mutter mein Vorbild, da ich diese Stärke von ihr irgendwie übernommen habe. Ich hatte aber das Glück, schon immer einen echten, wundervollen Freundeskreis zu haben.
Wenn ich auf meine Kindheit zurückdenke, hatte ich damals kein Körpergefühl. Also ich habe mich einfach als Kind gefühlt. Ich habe mich nicht zu viel oder zu wenig gefühlt, ich war okay. Erst als alle meine Freundinnen Beziehungen hatten, während ich noch lange nicht so weit war, dachte ich, dass ich etwas ändern muss. „Ich muss abnehmen“, dachte ich.
Das mündete in eine Magersucht mit nur 13 Jahren. Ich hungerte mich von 120 Kilo auf 49 Kilo herunter.
Dafür habe ich erst einmal viel Lob bekommen. „Du hast abgenommen, toll! Und wie hast du das geschafft?“ Ich habe natürlich niemandem erzählt, wie sehr ich litt.
In anderthalb Jahren von 49 auf 160 Kilo zu kommen
Mit 14 war ich dann das erste Mal verliebt. Doch der Mann meiner Träume gab mir einen Korb, weil ich zu dünn war. Und dann fing das große Fressen wieder an und ich habe es geschafft, in anderthalb Jahren wieder auf 160 Kilo zu kommen. Mit 16 Jahren.
wmn: Das klingt sehr ungesund, mental wie auch körperlich.
Caro Gugu: Ich brauche nicht viel zu essen, um schnell zuzunehmen. Mein Stoffwechsel ist nicht der Beste.
Um deine Frage von vorhin zu beantworten: Meinen Stoffwechsel habe ich eine ganze Zeit lang als Schuldfaktor gesehen. Ich habe immer gedacht: „Wie unfair, andere können viel mehr essen können als ich.“ Damals habe ich begonnen, meinen Körper wirklich zu hassen.
Damals habe ich begonnen, meinen Körper wirklich zu hassen.
Caro Gugu
Ich habe es dann von 160 Kilo wieder auf 80 Kilo geschafft, und das innerhalb von 13 Monaten. Ich habe ein Jahr lang morgens Reis zum Frühstück gegessen und mittags Hähnchen mit Spinat oder Salat und danach gar nichts mehr. Ein ganzes Jahr des Verzichts also.
wmn: Das klingt erneut nach einer Essstörung?
Caro Gugu: Ja, aber ich habe mich nie zurückgezogen vom Leben. Wenn Freunde von mir zu McDonald’s gegangen sind, bin ich immer mitgegangen. Dann habe ich mir immer einen Kaffee bestellt. Auch mit Alkohol war ich sehr streng. Wenn ich ein Bier getrunken hatte, war für mich klar: Den Tag danach darf ich gar nichts essen, damit der Kalorienhaushalt wieder ausgeglichen ist.
14 von 1.000 Frauen sind essgestört: Du bist nicht allein
wmn: Du sprichst hier von Ausflüchten, die man sich als essgestörter Mensch sucht. Ich habe mal gehört, dass essgestörte Leute gerne Tequila trinken. Weil es irgendwie entschlacken wirken soll oder so was.
Und du bist ja dabei so was von überhaupt nicht alleine: in Deutschland sind 14 von 1000 Frauen essgestört und 5 von 1000 Männern sind essgestört. Woran erkennt man das denn überhaupt, dass jemand essgestört ist? Gibt es da bestimmte Anzeichen?
Caro Gugu: Es gibt Verhaltensweisen, die du beobachten kannst. Mir hat ein Kumpel erzählt, dass er eine Frau gedatet hat, die jede einzelne Kalorie gezählt hat. Egal, ob beim Kochen oder beim Essengehen. Ich denke, alles, was zwanghaft ist, was nicht frei und nicht intuitiv ist, ist eine Form der Essstörung.
wmn: Du hast mit einer Kollegin zusammen eine Initiative gegründet, die „Dein Körper ist genug“ heißt. Möchtest du uns kurz erklären, was das bedeutet und worum es da geht?
Caro Gugu: „Dein Körper ist genug“ ist ein Fotoprojekt, das mit meiner Kollegin Caro Hopp gestartet ist, die selber Betroffene einer Essstörung war. Sie hat damals Frauen gesucht, die so mutig sind, sich nackt vor der Kamera zu zeigen und auch ihre Körpergeschichte zu teilen. Und ich war einer dieser Models.
Ich kann so sein wie ich bin und bin trotzdem liebenswert
Damals, im Jahr 2019, kam ich frisch aus einer sechsjährigen Beziehung und war mit meinem Körpergefühl am Ende. Ich dachte, ich muss erst mal abnehmen, um jemanden Neues kennenzulernen, denn so würde mich doch eh niemand wollen. Gott sei Dank habe ich heute jahrelange Selbstliebeschulungen und Persönlichkeitsentwicklungen hinter mir. Heute weiß ich, dass ich so sein kann wie ich bin und trotzdem bin ich liebenswert. Das habe ich auch dem Nacktshooting mit Caro zu verdanken.
wmn: Heute fotografierst du selbst nackte Körper und hörst die Geschichten dahinter. Kannst du eine Geschichte erzählen, die dir im Gedächtnis geblieben ist?
Caro Gugu: Ich habe beispielsweise mit einem Mann geshootet, der die Glasknochenkrankheit hat. Ein Shooting mit einem Menschen zu haben, der eine Behinderung hat, war für mich etwas Neues. Dabei war er so zufrieden und in sich und er wirkte in sich ruhend.
Er sagte zu mir, dass das wohl seine Eltern Schuld seien, dass er so selbstbewusst ist. Sie haben ihm immer das Gefühl gegeben, in Ordnung zu sein, so wie er ist. Das war für mich ein heftiges Aha-Erlebnis, vor allem mit meiner Familiengeschichte.
wmn: Als Frau musst du heutzutage sehr viele Rollen bedienen. Du musst soundso aussehen, musst Kleider anziehen, musst lange Haare haben, musst dich schminken, du musst schlank und schön sein. Die Freiheit zur Selbstentfaltung wird uns von der Gesellschaft genommen.
Doch es gibt Gegenbewegungen: Durch Body Positivity lernen wir zu verstehen, was wir wollen und wie wir uns wohlfühlen. Social Media ist voll von Body Positivity, von Body Equality. Auf den Laufstegen dieser Welt wird mehr mit Plus Size Models gearbeitet. Hast du das Gefühl, dass das reicht?
2 % der Models auf den großen Laufstegen Plus Size
Caro Gugu: Derzeit sind gut 2 % der Models auf den großen Laufstegen Plus Size-Frauen. Nein, das reicht meiner Meinung nach nicht.
wmn: Was willst du denn eigentlich von den Laufstegen dieser Welt?
Caro Gugu: Es gibt mittlerweile deutlich mehr Auswahl in der Mode, auch für Curvy Personen. Aber das ist nicht alles. Für mich bedeutet Body Positivity auf den Laufstegen, dass ein Mensch eine andere Körperform haben kann. Vielleicht auch schlaffe Haut haben kann. Vielleicht auch ein Mensch, der eine Brustamputation hatte. Ein Mensch, der schlechte Haut hat. Das gehört alles dazu.
Es geht um die Sichtbarkeit: Wir brauchen unterschiedliche Menschen in der Werbung, in der Mode, in Filmen zu sehen und in Serien zu sehen. Ich denke, Sichtbarkeit spielt eine sehr, sehr große Rolle.
wmn: Wer ist dein Vorbild?
Caro Gugu: Ich mag den Onlineshop von Asos, weil du dort die Haut zumindest nicht mehr retuschiert wird. Du siehst Dehnungsstreifen, du siehst Narben, du siehst Menschen unterschiedlicher Herkunft und unterschiedlichen Frisuren.
Eine achtsame Essgestörte
wmn: Würdest dich selber als eine geheilte Essgestörte bezeichnen?
Caro Gugu: Eine achtsame Essgestörte.
Ich merke schon, dass es Spuren hinterlassen hat. Was ich bisher erlebt habe, dass es Phasen gibt, in denen ich zum Beispiel sehr schnell esse. Das ist etwas, was ich auch merke, dass es nicht gesund ist. Oder wenn ich gestresst bin, kommt es auch vor, dass ich teilweise stundenlang gar nichts, also das ist auch nicht gesund.
wmn: Aber du hast es geschafft, deinen Körper lieben zu lernen. Du hast es geschafft, ihn zu akzeptieren. Siehst du da einen Unterschied zwischen Selbstakzeptanz und Selbstliebe?
Caro Gugu: Gut, dass du das Wort nennst. Irgendwas hat mich bei Wort Selbstakzeptanz immer gestört. Akzeptanz bedeutet, dass ich etwas hinnehme. Selbstliebe hingegen ist sehr wohlwollend. Also ich liebe meinen Freund, ich liebe meine Freundin, ich liebe das Essen. Das ist eher positiv behaftet.
wmn: Ist es wichtig, dass wir zu 100 % unseren Körper lieben?
Caro Gugu: Ich finde, du kannst das mit einer Beziehung beispielsweise vergleichen. Ich habe noch keine Beziehung erlebt, die jeden Tag, jede Sekunde, jede Minute zu 100 % perfekt ist. Es gibt Höhen und Tiefen.
wmn: Kannst du dich jetzt nackt vor den Spiegel stellen und dir sagen: „Ich finde klasse, was ich da sehe.„
Caro Gugu: Heute schon.
wmn: Kannst du uns einen Tipp geben, wie wir als Zuschauer:innen das auch hinkommen können?
Es muss kein Shooting mit „Dein Körper ist genug“ sein, aber du kannst das Shooting mit dir selber machen. Oder mit deinem besten Freund, mit deiner besten Freundin, damit du wieder lernst zu sehen, wie dein Körper wirklich aussieht.
Es gibt zum Beispiel die Spiegelarbeit. Bei dieser stellst du dich nackt vor den Spiegel und betrachtest dich erst einmal. Du kannst ein Song dazu anmachen, den du magst, um dich da reinzufühlen und dich wirklich zu betrachten. Von oben bis unten erst mal eine Minute pro Tag.
Ich wusste nicht, dass mein Gesicht asymmetrisch ist
Frage dich dabei: Wie sehen meine Waden aus? Wie sehen meine Oberschenkel aus? Nimm dir wirklich Zeit, deinen Körper zu betrachten und ihn wahrzunehmen. In der Regel gucken wir in den Spiegel und schauen, ob alles okay ist. Sind meine Haare in Ordnung, muss ich vielleicht mich hier noch irgendwas schminken oder hübscher machen? Aber wie oft schauen wir uns wirklich an? Ich wusste jahrelang zum Beispiel nicht, dass mein Gesicht asymmetrisch ist.
Sind schlanke Frauen gesünder als dicke Frauen?
wmn: Jedes Mal, wenn eine Curvy Frau auf dem Cover der Vogue oder der Sports Illustrated landet, gibt es einen Shitstorm. Die Menschen haben zu beanstanden, dass dicke Menschen nicht gesund seien. Nun meine Frage: Sind schlanke Frauen gesünder als dicke Frauen?
Caro Gugu: Du kannst vom Äußeren abhängig machen, ob jemand gesund ist oder nicht. Auch ein schlanker Mensch kann eine Krankheit haben, die wir auf den ersten Blick so nicht sehen.
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Die Aktion „Dein Körper ist genug“ nimmt gerade erst Fahrt auf. Caro Hopp und Caro Gugu stellen in mehreren Städten Deutschlands aus. Dort bringen sie verschiedene Models und ihre persönlichen Geschichten auf die Bühnen. Alle Infos findest du auf der Webseite von „Dein Körper ist genug“.