Greta und Larissa sind beide ertaubt. Genauer gesagt haben sie die Erkrankung Neurofibromatose Typ 2 (NF2), durch welche beide ihren Gehörsinn verloren haben. Unter dem Namen @somehowdeaf nehmen Larissa und Greta ihre Instagram-Follower:innen mit durch ihren Alltag und berichten ihnen von ihrem Leben mit NF2 sowie den Problemen, denen sie im Alltag begegnen. So gelingt es den beiden, auch anderen Mut zu machen.
Jede Woche stellen wir bei wmn eine Frau vor, die uns empowert, inspiriert und von der wir uns gerne eine Scheibe abschneiden würden – unsere weekly heroine. Diese Woche sind es sogar gleich zwei außergewöhnliche Frauen. Dass beide den Titel der weekly heroine mehr als verdient haben, zeigen Greta und Larissa im Interview mit uns.
Greta und Larissa von somehowdeaf – kurz und knapp
Du kennst Greta und Larissa von somehowdeaf noch nicht? Dann wird es aber höchste Zeit! Das musst du über die beiden wissen:
- Greta ist 21 Jahre alt und kommt aus der Nähe von Köln. Derzeit studiert sie und lernt nebenbei noch die Gebärdensprache. In ihrer Freizeit macht sie gerne Yoga oder geht Laufen. Außerdem liebt sie es, zu kochen.
- Greta beschreibt sich selbst als eine sehr willensstarke Person. Als man bei ihr in ihrem 9. Lebensjahr Neurofibromatose Typ 2 diagnostiziert hat, musste sie diese Eigenschaft noch einmal mehr unter Beweis stellen. Dennoch versucht Greta, immer das Positive zu sehen und das Leben mit all seine Facetten zu genießen.
- Larissa ist 29 Jahre alt und kommt aus Karlsruhe. Sie liebt es, in fremde Kulturen einzutauchen. Gerade die asiatische Kultur hat es ihr besonders angetan. Das ist vermutlich auch der Grund, warum Larissa so gerne reist. In ihrer Freizeit liest Larissa außerdem gerne – am liebsten Fantasy-Bücher und Harry Potter.
- Seit 2010 weiß Larissa, dass sie Neurofibromatose Typ 2 hat, im Jahre 2018 ist sie dann komplett ertaubt. Heute hat Larissa zwei Hirnstammimplantate, mit welchen sie wieder einige Höreindrücke sammeln kann.
„Das Wachstum der Tumore am Hörnerv hat dazu geführt, dass wir beide mittlerweile vollständig ertaubt sind.“
Gemeinsam haben Greta und Larissa im April 2021 den Instagram-Kanal @somehowdeaf gegründet. Hier teilen sie mit ihren Follower:innen alles, was ihnen gerade durch den Kopf geht. Von veranschaulichenden Informationen über NF2, über ihre Erfahrungen mit der Erkrankung, bis hin zu den Basics der Gebärdensprache ist eigentlich alles mit dabei.
So gelingt es Greta und Larissa nicht nur, anderen gehörgeschädigten Menschen Mut zu machen, sondern auch alle anderen Follower:innen zu inspirieren. Was genau Neurofibromatose Typ 2 ist, wie die beiden damit umgehen und welchen Problemen sie immer noch im Alltag begegnen, erklären Larissa und Greta im Interview mit uns.
wmn: Ihr beschreibt euch auf eurem Instagram-Kanal als „somehow deaf“ (auf Deutsch: „irgendwie taub“). Erklärt das doch gerne einmal. Warum seid ihr „somehow deaf“?
Greta und Larissa: Obwohl wir medizinisch betrachtet taub sind, können wir dank der Hirnstammimplantate wieder „normal“ hören. Abends oder generell, wenn wir die Implantate abziehen, sind wir aber vollständig taub. Daher sind wir also immer irgendwie taub und trotzdem hörend.
Als wir einen Namen für unseren Account gesucht und über Gemeinsamkeiten nachgedacht haben, kam von jetzt auf gleich der Gedankenblitz, dass wir irgendwie hörend und gleichzeitig taub sind, aber auch taub und irgendwie hörend. So entstand dann „somehowdeaf“.
wmn: Vor mittlerweile über zehn Jahren wurde bei euch beiden Neurofibromatose Typ 2 festgestellt. Was genau kann man sich unter dieser Krankheit vorstellen?
Greta und Larissa: Neurofibromatose Typ 2 (NF2) ist eine seltene, genetisch bedingte Erkrankung, durch die überall im Körper gutartige Tumore entstehen können. Im Kopf sind Akustikusneurinome das zentrale Merkmal der NF.
Das sind gutartige Tumore am Hörnerv, die durch ihr Wachstum verursacht haben, dass wir beide mittlerweile vollständig ertaubt sind. Die Auswirkungen, Symptome und Verläufe sind sehr individuell und unterschiedlich schwerwiegend.
„Ich hatte links und rechts einen Tumor am Hörnerv und bin dadurch 2018 vollständig ertaubt.“
wmn: NF2 hat verschiedene Erscheinungsweisen. Wie hat sich die Erkrankung bei euch beiden geäußert?
Greta: Bei mir wurde mit circa 10 Jahren beobachtet, dass ich auf dem linken Auge stark geschielt habe, wenn ich müde war. Daraufhin wurden Untersuchungen veranlasst und durch eine mehr oder weniger zufällige MRT-Untersuchung hat man die Akustikusneurinome (Tumore am Hörnerv) im Schädel entdeckt.
Ich hatte auch einen Café-au-lait-Fleck (Pigmentfleck) am rechten Schienbein und zwei oberflächliche Fibrome (gutartige Tumore) an Bauch und Rücken. Die wurden allerdings nicht direkt als mögliche Symptome der Krankheit wahrgenommen.
Larissa: Bei mir wurde die Krankheit durch Rückenschmerzen entdeckt. Nachdem diese über die Jahre schlimmer wurden, hat man im Alter von 16 Jahren bei mir zufällig einen Tumor im Spinalkanal entdeckt.
Typisch für das Krankheitsbild hatte ich links und rechts einen Tumor am Hörnerv und bin dadurch 2018 vollständig ertaubt. Seitdem die beiden Tumore entfernt wurden, ist bei mir momentan alles stabil. Dafür bin ich sehr dankbar. Wie Greta habe ich auch Fibrome und Café-au-lait-Flecken.
„Die Hirnstammimplantate haben mir ein Stück Lebensfreude zurückgegeben“
wmn: Mittlerweile habt ihr beide ein sogenanntes Hirnstammimplantat. Was genau ist das und wie funktioniert es bei euch beiden?
Greta und Larissa von somehowdeaf: Ein ABI (auditory brainstem implant) ist ein Implantat, das gerade Patient:innen mit NF2 die Möglichkeit bieten soll, nach einer Ertaubung wieder Höreindrücke zu entwickeln. Denn durch die Tumore arbeiten unsere Hörnerven nicht mehr oder wurden bei einer Operation vollständig entfernt.
Die Elektrode unseres Implantats wird am Hirnstamm platziert, daher auch der Name. Larissa und ich haben das große Glück, dass die Implantate bei uns gut funktionieren, denn die Eindrücke können sich zwischen den Patient:innen sehr stark unterscheiden. Obwohl wir taub sind, sind wir dank der Implantate wieder in der Lage, zu hören und uns zu unterhalten. Auch Musik können wir wieder hören.
wmn: Wie hat sich euer Leben durch die ABIs verändert und stört es euch, dass das Gerät auch äußerlich sichtbar ist?
Greta: Die ABIs sind für mein Leben eine sehr große Bereicherung, für die ich wirklich unbeschreiblich dankbar bin. Ich kann wieder unbeschwerter am gesellschaftlichen Geschehen teilnehmen und generell das Leben mit all seinen Facetten genießen.
Über den Fakt, dass sie für Außenstehende stärker auffallen als Hörgeräte oder irgendwie komisch aussehen, habe ich mir bisher nur selten Gedanken gemacht. Die ABIs gehören nun einfach zu mir.
Ich bin sogar stolz darauf, dass diese kleinen, künstlichen Geräte mir ermöglichen, hören zu können. Auch wenn der Weg dorthin rückblickend betrachtet, hart und kräftezehrend war, bin ich sehr froh, dass ich mich dafür entschieden habe und möchte sie um keinen Preis mehr missen.
Larissa: Wie bei Greta haben mir meine Implantate ein Stück Lebensfreude zurückgegeben. Als ich mein erstes Implantat bekommen habe, hat man mir gesagt, dass es mich nur beim Lippenlesen unterstützen würde. Als ich dann das erste Mal wieder Grillen und Vogelgezwitscher gehört habe, musste ich fast weinen. Dann kam Musik dazu. Das war ein unbeschreiblicher Moment.
Eine meiner größten Ängste vor meiner Ertaubung war damals, dass ich meine Freund:innen verlieren würde. Das war zwar rückblickend betrachtet unbegründet, das ABI hat diese Ängste dennoch komplett beseitigt. Deswegen bin ich meinen Ärzten und Technikern unglaublich dankbar, dass sie mir diese Chance ermöglicht haben.
„In manchen Momenten fühlen wir uns hilflos und bevormundet, da uns unfreiwillig die Selbstständigkeit weggenommen wurde.“
wmn: Auf welche Probleme stoßt ihr im Alltag? Wo gerät die Barrierefreiheit in Deutschland an ihre Grenzen?
Greta und Larissa: Wir verreisen sehr gerne und stoßen hierbei oft auf die Umstände, dass wichtige Nachrichten nicht barrierefrei angezeigt werden. Beispielsweise am Bahnhof oder an Flughäfen. Hier werden viele Informationen nur per Lautsprecher durchgegeben. Es war schon mehrfach der Fall, dass wir in letzter Minute von einem Ende zum anderen sprinten mussten, weil ein Gleis- oder Gatewechsel für uns nicht wahrnehmbar war.
Als sich die Corona-Pandemie in den Startlöchern befand, standen auf den großen Pressekonferenzen keine Gebärdendolmetscher:innen zur Verfügung. Gerade in solchen Krisensituationen ist das fatal, da uns Menschen mit einer Hörschädigung solche wichtigen Informationen verwehrt werden.
Diese werden erst dann zugänglich, wenn sie in Schrift verfasst werden. Alle Menschen sollten das gleiche Recht und die gleichen Möglichkeiten haben, Zugang zu existenziell notwendigen Nachrichten zu erhalten und nicht erst darum kämpfen müssen.
Aber auch relativ unspektakuläre Situationen, die für Menschen ohne Hörschädigung völlig banal zu sein scheinen, stellen für uns oft eine Barriere dar. Gerade wenn es um Terminabmachungen oder -verschiebungen im Gesundheitswesen geht. Die sind in der Regel nur via Telefon möglich. So sind wir immer auf Unterstützung angewiesen.
In diesen Momenten fühlen wir uns dann hilflos und bevormundet, da uns unfreiwillig die Selbstständigkeit weggenommen wird und wir immer eine gewisse Abhängigkeit gegenüber anderen haben.
„Wir sind nicht ansteckend und Ansprechen ist erlaubt!“
wmn: Was wünscht ihr euch für die Zukunft?
Greta: Ich wünsche mir für die Zukunft, dass die Forschung neue Erkenntnisse in Bezug auf Behandlungsmöglichkeiten findet und so deutlich mehr Patient:innen das gleiche Wunder wie wir erleben dürfen.
Außerdem würde ich mir wünschen, dass Hörschädigungen nicht mehr so ein Tabu-Thema in der Gesellschaft darstellen und man öfter auf Verständnis und einen empathischen Umgang damit stößt. Wenn ich rausgehe und mein ABI deutlich am Kopf zu sehen ist, was mich selber überhaupt nicht stört, muss ich in 90 Prozent der Fälle mit unangenehmen Blicken rechnen.
Auch das Verhalten mancher Personen im Umgang mit mir beschäftigt mich oft sehr. Leider ist es häufig so, dass Leute im ersten Moment unfreundlich zu mir sind. Sobald ich aber erwähne, dass ich eine Hörschädigung habe, ändern sie die Art und Weise, in der sie mit mir reden, komplett.
Das ist natürlich auch nicht das, was ich will, wenn jemand nur wegen meiner Behinderung freundlich zu mir ist. Ich hoffe, mehr Leute durch unsere Aufklärungsarbeit dafür sensibilisieren zu können, dass das in Zukunft nicht mehr die Regel ist.
Larissa: Wir sind uns bewusst, dass sich Dinge nicht von heute auf morgen ändern werden. Aber in den letzten Jahren gab es einen regelrechten Stillstand im Bereich der Inklusion. Ich hoffe, dass sich das ändert und einige Barrieren mit den Jahren verschwinden werden.
Zudem wünsche ich mir mehr Offenheit im Umgang mit Menschen mit einer Behinderung. Viele Leute haben eine große Berührungsangst, weil sie nicht wissen, wie sie mit uns umgehen sollen. Das kommt auch daher, dass es immer noch ein Tabu-Thema ist, über das nicht geredet wird. Wir sind nicht ansteckend und Ansprechen ist erlaubt!
Natürlich ist es auch mein größter Wunsch, dass es irgendwann einmal eine Heilung für unsere Krankheit gibt oder ein Medikament, welches bei jedem anschlägt. Ich wünsche mir zudem, dass die Krankheit bekannter wird. Einfach aus dem Grund, dass die Diagnosen oft im letzten Moment gestellt werden, da selbst viele gute Ärzte die Symptome nicht direkt erkennen.
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