Der Lockdown 2.0 ist seit November in vollem Gange. Und wer leidet darunter wie ein Hund? Die Kunst- und Kulturszene.
In unserer Themenreihe der #Corona-AlltagsheldInnen sprechen wir mit echten Menschen, denen die Krise des letzten Jahres übel mitgespielt hat, die daran aber auch persönlich und beruflich über sich selbst hinausgewachsen sind. Allerorts kommen Menschen gerade an ihre Grenzen. Einfach nur, indem sie versuchen, ein normales Leben aufrecht zu erhalten. Wir wollen verstehen, was die Pandemie mit uns allen macht und wer vielleicht in den letzten Monaten zu wenig gehört wurde.
Die Kunst- & Kulturszene in der Coronapandemie: Eine Einschätzung von Bernard Hoffmeister
Wer entscheidet eigentlich, welcher Beruf wichtig ist und welcher nicht? Was bedeutet es, systemrelevant zu sein und inwieweit kann man die deutsche Kunst- und Kulturszene dazu zählen?
Bernard Hoffmeister ist Autor, Kabarettist, Moderator und Poetry Slammer. Als Experte gibt er uns eine ehrliche Einschätzung darüber, wie es derzeit um die Kunst steht und was die Zukunft bringen wird.
Er spricht stellvertretend für eine Szene, die normalerweise vom Applaus lebt, beim Balkon-Geklatsche dieses Jahr aber zum großen Teil vergessen wurde …
wmn: Wie hat sich die deutsche Kleinkunstszene im Gegensatz zu unserem letzten Gespräch verändert?
Bernard: Die deutsche Kleinkunszene ist seit Anfang des Jahres nicht mehr die gleiche. Und auch seit unserem letzten Gespräch im April 2020 haben wir die Auswirkungen der Krise viel mehr gespürt. Damals haben sich die Lockdown-Maßnahmen noch nicht so sehr auf unsere Arbeit, das Einkommen und die langfristige Planung ausgewirkt.
Der zweite harte Lockdown hat uns natürlich noch einmal massiv getroffen. Trotzdem glauben wir fest daran, dass die Kleinkunst- und Veranstaltungsszene in Zukunft nicht ausschließlich digital stattfinden wird. Wir haben zwar auf Livestreams gesetzt und uns ein paar Konzepte für digitale Kleinkunst überlegt, aber im Großen und Ganzen hoffen wir, dass der Impfstoff uns wieder bessere Zeiten auf realen Bühnen bringen wird.
Ich persönlich kenne aber auch einige Akteure, die sich aus der Szene zurückgezogen haben und etwas komplett anderes machen. Teilweise, weil sie das wollen, teilweise aber auch, weil sie das müssen. Die Pandemie hat uns schon einige Künstler gekostet.
wmn: Wie hältst du dich zurzeit über Wasser?
Bernard: Ich persönlich war schon immer zweigleisig aufgestellt und hatte neben dem Poetry Slam noch einen Job als Quizfragenschreiber. Diese Projekte konnte ich glücklichweise im letzten Quartal ausbauen, was mich persönlich finanziell derzeit sehr gut dastehen lässt. Das Jahr über hat also mein zweites Standbein das erste übernommen.
Ich wurde aber auch sehr gut unterstützt. Ich habe am Anfang des Sommers die staatliche Soforthilfe in Höhe von 2.000 € bekommen. Über Stiftungen und Stipendien habe ich außerdem insgesamt 11.000 € erhalten. Das Land NRW hat sich echt dafür eingesetzt, dass Künstler wie ich Hilfe bekommen. 7.000 € von den Stipendien muss ich nicht einmal zurückzahlen und sie auch nicht versteuern.
wmn: Was war deine größte Herausforderung dieses Jahr?
Bernard: Ganz klar die Finanzen: Vor allem im Mai wurde es bei mir sehr knapp. Hätte ich die 2.000 € Soforthilfe nicht bekommen, wäre ich wahrscheinlich nicht über den Sommer gekommen.
Für mich als Quizschreiber und Autor waren andere Dinge wie beispielsweise das Homeoffice gar kein Problem. Das ist mir bereits in Fleisch und Blut übergegangen. Dennoch hatte ich normalerweise immer einen Ausgleich bei meinen Abendveranstaltungen, wenn ich als Moderator aufgetreten bin, oder auch wenn ich auf Tour war. Als Künstler auf der Bühne zu sein, bedeutet für mich Lebensqualität, die dieses Jahr leider komplett verloren ging.
wmn: In unserem letzten Interview hast du gesagt, dass die Kunst angesehen und wie ein systemrelevanter Job mit KassiererInnen und KrankenpflegerInnen auf eine Stufe gestellt werden sollte.
Hast du das Gefühl, dass sich in der Krise der Blick auf die Kleinkunst verändert hat? Wenn ja, bei wem? Wenn nein, warum nicht?
Bernard: Das Wort “systemrelevant” würde ich da vielleicht ein bisschen relativieren. Das klingt immer gleich so martialisch. Was es vielleicht eher trifft, ist die Art der Anerkennung.
Die müsste für die Kultur im Allgemeinen einfach höher sein. Das Kulturangebot wird in Deutschland noch immer zu stiefmütterlich behandelt. Ich höre oft den Satz “Ach, du bist Künstler? Warum hast du denn nichts Richtiges gelernt?” Das ist ein krasses Ressentiment gegenüber der Kunst- und Kulturszene.
Das Kulturangebot wird in Deutschland noch immer zu stiefmütterlich behandelt.
Da muss ein Umdenken her. So schnell kann das aber wahrscheinlich nicht passieren. Es ist noch nicht einmal ein ganzes Jahr seit dem Beginn der harten Maßnahmen vergangen. Das reicht nicht für ein generelles Umdenken.
Ich sehe aber, dass es schon vereinzelt ankommt. In NRW wurden großflächig Stipendien über 7.000 € an Künstler ausgeschüttet. Damit hatte ich nicht gerechnet und war ernsthaft überrascht. Vor allem bei unserer CDU-FDP-Regierung, die ja generell nicht unbedingt als die Kunst- und Kulturfreunde bekannt sind. Diese Bemühungen sind durchaus erwähnenswert.
Trotzdem wurde auch gerade im Lockdown 2.0 im November klar, dass meist nur über Gastronomie und den Hotelbereich gesprochen wird. Doch der Kulturbereich hat genauso viele Einbußen gehabt, wenn nicht noch mehr.
wmn: Erkläre mir bitte in deinen eigenen Worten, warum die Kunst gerade in Zeiten wie diesen so wichtig ist.
Bernard: Natürlich ist man als Künstler schnell dabei zu sagen, dass die Kunst uns allen Kontemplation verschafft. Das bedeutet, dass wir in der Kunst Dinge aus unserem Alltag wiederfinden, sie einen dabei aber nachdenken und verweilen lässt. Und sie kann unser ästhetisches Bedürfnis befriedigen.
Es gehört zum Leben dazu, den “schönen Dingen” nachzugehen und eben nicht nur mit dem Alltag und dem Wirtschaften nachzueifern. Wir brauchen die Kunst als Ausgleich.
Nicht jeder ist für solche Argumente empfänglich. Gerade in Krisenzeiten sind Menschen schnell dabei zu sagen, dass für solche „schönen Dinge“ gerade kein Platz ist. Diesen Menschen zeige ich gerne auf, dass wir Künstler ein Angebot machen, das nachgefragt wird.
Die Kunst ist ein riesiger und wichtiger Wirtschaftszweig.
Die Kunst ist (oder war) ein riesiger und wichtiger Wirtschaftszweig. Zu jedem verkopften Künstler gehören Bühnentechniker, Organisatoren, Caterings und so weiter. Kunst schafft also auch Arbeitsplätze. Oder schaut euch den Büchermarkt an: In den letzten Monaten haben bestimmt mehr Leute mal ein Buch aufgeschlagen als noch im letzten Jahr.
wmn: Als Kabarettist, Geschichtenschreiber, Kleinkünstler, Moderator: Wie gehst du mit dem Thema Corona in deiner Kunst um? Wie sollte man es auf der Bühne behandeln?
Nach dem ersten Lockdown dachte ich “Oh, bitte keine Lockdown-Texte auf der Bühne.” Das kann ja nur langweilig werden. Dann habe ich aber selbst einen geschrieben. (lacht)
Aber die Frage ist doch wirklich: Wer möchte ein Stück, einen Text oder ein Werk lesen, in dem es um Corona geht? Das ist doch einfach sterbenslangweilig.
Mir graust es schon vor der nächsten Romcom mit Matthias Schweighöfer, der im Lockdown-Chat irgendwen kennenlernt und dann monatelang auf das erste Date warten muss. Sowas wird bestimmt kommen.
Es kann aber auch sein, dass die Corona-Zeit auf eine gute Art aufbereitet wird. Meiner Meinung nach wäre es nur sehr hinderlich, wenn weiter Ressentiments geschürt werden würden. Leute wie Dieter Nuhr sollten die Corona-Krise bitte nicht nutzen, um ihr Bashing gegen “die da oben” weiter voranzutreiben. Das ist doch nur ein Wegbereiter für weitere Coronaleunger und querdenkendes Gedankengut.
wmn: Man hört immer mal wieder, dass selbst Entertainer und sehr extrovertierte Menschen (wie du) sich in der Pandemie eine Art von social awkwardness anlernen.
Hast du das Gefühl, dass das auch auf dich zutrifft? Kann es sein, dass du nach der Krise mehr Bühnenangst haben wirst?
Bernard: Das habe ich selbst noch nicht erlebt. Ich habe eher das Gefühl, dass Extrovertierte es nicht erwarten können, nach dem Lockdown wieder auf die Bühne zu dürfen.
Ich weiß aber, dass die Pandemie bei dem einen anderen psychisch labilen Bühnen-Performer oder Star zu Problemen geführt hat. Dass Xavier Naidoo, Attila Hildmann oder Michael Wendler auf ihren Telegram-Accounts komplett durchgedreht sind, liegt wohl auch zum Teil daran (gewagte These), dass sie es immer gewohnt waren, im Mittelpunkt zu stehen.
Das fällt nun weg und sie wissen nicht, wie sie das kompensieren sollen. Das führt zu Übersprungshandlungen. Und leider bekommen sie dadurch noch mehr Aufmerksamkeit.
wmn: Dein Beruf lebt davon, dass Menschen zusammengedrängt in einem engen Raum stehen. Dass das jetzt nicht möglich ist, ist klar. Doch ich denke auch nach der Krise wird sich unser Verhalten in Menschenmassen verändern.
Glaubst du das auch? Meinst du, dass das ein Problem für dich sein könnte?
Bernard: Ich versuche mal einen Blick in die Zauberkugel zu werfen. Ich kann mir vorstellen, dass gerade große Massen noch lange unter Vorbehalt zusammenkommen werden. Ich glaube aber auch, dass sobald die ersten “positiven” Erfahrungen gemacht wurden, alles entspannter wird. Wenn die Menschen einigermaßen sicher sind, dass nichts passiert und niemand nach einer Veranstaltung krank geworden ist, werden sie sich wieder trauen. Das wird aber noch eine ganz schöne Weile dauern.
wmn: Bist du manchmal sauer auf irgendjemanden? Den Staat? Die Chinesen? Die Coronaleugner?
Bernard: Sauer bin ich nicht wirklich. Außer manchmal auf die Coronaleugner.
Enttäuscht bin ich häufiger. Im Herbst hat die Bundesregierung den Großteil des öffentlichen Lebens zum Wohle der Wirtschaft gekillt. Alle Maßnahmen waren in Ordnung, solange sie die Wirtschaft nicht angreifen. Das ist sicherlich auch ein Grund, warum der Lockdown so lange andauert. Hätten wir die Kaufhäuser von Anfang an so behandelt wie die Kinosäle, dann wären wir an einem ganz anderen Punkt in der Pandemie.
wmn: Was war bis jetzt dein größtes Learning aus der Krise?
Für mich war es vor allem erstaunlich, wie viel Geld der Staat in einer Krise locker machen kann.
Vor allem ist mir aber klar geworden, wie wichtig es ist, seine Freunde nicht aus den Augen zu verlieren. Jetzt, wo wir uns alle so lange nicht sehen können, müssen wir echt aufpassen. Ich spreche nicht von den besten Freunden oder dem Partner, die man eh immer um sich hat. Aber gerade um Menschen, die einem nicht ganz so nah sind und dennoch wichtig, muss man sich jetzt aktiv kümmern.
wmn: Worauf freust du dich “nach Corona” am meisten?
Essen gehen & Kneipentouren. Dieses ständige Spazierengehen in ekelhaftem Wetter geht mir tierisch auf den Geist.
Noch mehr #Corona AlltagsheldInnen findet ihr hier
LehrerInnen in der Corona-Pandemie: Vor welchen Herausforderungen stehen sie und wie kommen sie mit den riesigen Umstellungen klar?