Kann man als Mann Hebamme werden? Spoiler: Natürlich kann man als Mann Hebamme werden. Allerdings ist das erst seit 1985 erlaubt. Das Wort „Hebamme“ ist die einzige Berufsbezeichnung in der deutschen Sprache, zu der keine gesonderte männliche Form gebildet wurde. So ist ein Mann eine männliche Hebamme.
Wir haben uns mit Tobias Richter unterhalten. Er ist einer von 22 männlichen Hebammen in Deutschland und er hat uns von seinem Arbeitsalltag mit den schönsten und gleichzeitig herausfordernsten Seiten erzählt.
Die männliche Hebamme: Ein verrückter Job?
- Männliche Hebamme: Großmutter, die das Neugeborene aufhebt
- Die Ausbildung zur Hebamme
- Was Hebammen fehlt, ist die Zeit
- „Wenn ein Paar in den Kreißsaal kommt und später als Familie diesen Kreißsaal verlässt, ist etwas total Besonderes.“
- „Es braucht Hebammen, egal welches Geschlecht sie haben.“
- Der Überraschungseffekt einer männlichen Hebamme
- „Jede Person mit Leidenschaft für den Beruf ist als Hebamme herzlich willkommen“
Männliche Hebamme: Großmutter, die das Neugeborene aufhebt
wmn: Die Bezeichnung Hebamme heißt übersetzt aus dem althochdeutschen: Großmutter, die das Neugeborene aufhebt. Für männliche Hebammen gab es die Bezeichnung „Entbindungspfleger“ Wie bezeichnest du dich selbst?
Tobias: Ich selbst bezeichne mich auch als Hebamme. Ich habe zwar eine offizielle Urkunde, auf der Entbindungspfleger steht, allerdings ist die Entbindungspflege ein sehr geringer Zeitraum, von der Hebammenarbeit im Gesamten. Das wird dem, was wir als Hebammen tun, überhaupt nicht gerecht.
Seitdem wir Hebamme sagen, gibt es da weniger Verwirrungen. Die Menschen wissen, dass wenn es um Schwangerschaft, Geburten oder Wochenbett geht, dann ist die Hebamme dafür da und da ist es auch egal, welches Geschlecht die Hebamme hat.
Früher durften Männer entweder erst ganz spät oder gar nicht bei der Geburt dabei sein. Damals haben die Männer ihre Partnerin im Kreißsaal abgegeben und die Geburt hat die Hebamme alleine gemacht.
wmn: Warum sind vor allem Frauen Hebammen?
Tobias: Ich glaube, das hat etwas mit dem historischen Hintergrund zu tun. Es ist erst seit 1985 erlaubt, dass Männer in diesem Beruf arbeiten dürfen. Es ist aber auch ganz klar ein gesellschaftlicher Trend. Wir hatten es in Deutschland ganz lange so, dass Männer erst ganz spät zur Geburt dazu kommen durften oder gar nicht dabei waren.
Damals haben Männer ihre Partnerin im Kreißsaal abgegeben und die Geburt hat die Hebamme alleine gemacht. Die Männer kamen dann erst zu Besuch, nach verrichteter Arbeit. Das hat sich alles in den letzten Jahren gewandelt.
Die Ausbildung zur Hebamme
Die Hebammenausbildung dauert insgesamt drei Jahre. In der Ausbildung, die immer an einem Krankenhaus mit geburtshilflicher Abteilung stattfindet, erwartet die angehenden Hebammen ein anspruchsvoller Lehrplan mit hohen Standards.
wmn: Warum bist du Hebamme geworden?
Tobias: Ich habe den Beruf durch meine Mutter kennen und lieben gelernt. Der Beruf hat eine sehr starke Faszination auf mich ausgeübt. Den Start eines Lebens mitzuerleben, zu helfen und zu begleiten war von Anfang an super spannend für mich.
Ich habe erst ein Pflegepraktikum gemacht und da gemerkt, dass das nicht unbedingt meine Richtung ist. Daraufhin habe ich ein Kreißsaalpraktikum gemacht und habe diesen Wow-Effekt gehabt. Das ist das, was ich machen möchte!
Ich möchte Hebammen auf ihrem Weg begleiten und sie so gut es geht praktisch ausbilden, damit sie ganz tolle Hebammen werden.
Tobias über seine Tätigkeit in der Lehre
wmn: Wie hat sich dein Ausbildungsweg gestaltet? Kam es in einem überwiegend weiblich geprägten Ausbildungsberuf zu Problemen aufgrund deines Geschlechts? Beispielsweise in der Praktikumsfindung oder bei der Jobsuche?
Tobias: Das ging damals relativ gut, aber auch, weil ich schon ein paar Kontakte hatte. Damals war es noch so, dass ein Kreißsaalpraktikum erst ab 18 Jahren möglich war und ich war zu dem Zeitpunkt noch nicht volljährig. Die Ausbildung war keine einfache Zeit. Ich bin Hebamme geworden. Aber nur durch Freund:innen und Mitschüler:innen, eine Zeit, an die ich ab und zu gerne zurückdenke.
Diese Zeit war teilweise auch geprägt durch Schikanen und Machtmissbrauch gegenüber den Schüler:innen.
Ansonsten war diese Zeit sehr geprägt durch teilweise Schikanen und Machtmissbrauch gegenüber den Schüler:innen. Das hat mich zu dieser Zeit schon sehr mitgenommen, hat mich aber auch zu der Person gemacht, die ich heute bin. Ich entwickle mich immer weiter und habe gemerkt, dass ich das anders machen möchte. Ich möchte Hebammen auf ihrem Weg begleiten und sie so gut es geht praktisch ausbilden, damit sie ganz tolle Hebammen werden.
Was Hebammen fehlt, ist die Zeit
wmn: Du bist also mittlerweile selbst in der Lehre tätig?
Tobias: Genau. Ich habe jetzt meine Praxisanleitungsausbildung gemacht und arbeite in der Klinik mit den Studierenden zusammen und leite sie dort praktisch an. Nebenbei studiere ich noch berufsbegleitend Medizinpädagogik, um auch im theoretischen Bereich unterrichten zu können. So wird es für mich möglich, den werdenden Hebammen den Transfer zwischen Theorie und Praxis zu ermöglichen.
wmn: Was gehört grundsätzlich zu den größten Problemen in der Ausbildungszeit einer Hebamme?
Tobias: Ich würde sagen, Zeit. Das ist nicht nur in der späteren Arbeit als Hebamme ein Problem, sondern auch schon in der Ausbildung beziehungsweise im Studium so. Die werdenden Hebammen sollen 25 % Praxisanleitung bekommen. Das ist ein relativ großer Umfang, den man erst einmal stemmen muss.
Außerdem braucht eine gute Praxisanleitung auch sehr viel Zeit, da es erst einmal eine Orientierungsphase für die werdenden Hebammen braucht. Für genau diese Phase fehlt leider die Zeit und dadurch wird die Praxisanleitung gerne mal im Schnelldurchlauf durchgezogen und im Zweifel hinten angestellt. Aber trotzdem versuchen wir als Hebammen, unseren zukünftigen Kolleg:innen das Handwerkszeug an die Hand zu geben.
„Wenn ein Paar in den Kreißsaal kommt und später als Familie diesen Kreißsaal verlässt, ist etwas total Besonderes.“
wmn: Was ist das Schönste daran, Hebamme zu sein?
Tobias: Das Schönste sind die Geburten. Ich bin unglaublich gerne im Kreißsaal. Natürlich gibt es auch mal anstrengende Schichten, die einen schaffen, aber oft nimmt man gerade aus diesen Einsätzen am meisten Erfahrung mit. Aber wenn ein Paar in den Kreißsaal kommt und später als Familie diesen Kreißsaal verlässt, ist etwas total Besonderes.
In Deutschland wird seit mehreren Jahren diskutiert, wie der hohen Arbeitsbelastung der Hebammen durch bessere Arbeitsbedingungen und insbesondere eine höhere Personalausstattung begegnet werden könnte. Besonderer Bedarf wird laut Bundestag in der klinischen Geburtshilfe gesehen. Hier betreuen Hebammen in der Praxis nach wie vor oftmals mehrere Frauen gleichzeitig während der
Geburt. Diese hohe Belastung führt teilweise zu einem Rückzug von Hebammen aus der Geburtshilfe.
wmn: Gab es schon Momente, in denen du dich lieber für einen anderen Berufszweig entschieden hättest?
Tobias: Klar gibt es das ab und zu. Es gibt diese Situationen, in denen man immer wieder kämpft und versucht auf die Missstände aufmerksam zu machen und man hat gleichzeitig unglaublich viel zu tun. In diesen Momenten denkt man sich schon manchmal, warum man nicht einfach einen Beruf ausübt, der deutlich besser bezahlt wird und in dem man sehr viel weniger Verantwortung trägt. Aber ich bin gerne Hebamme.
„Es braucht Hebammen, egal welches Geschlecht sie haben.“
wmn: Braucht es mehr männliche Hebammen?
Tobias: Nein. Es braucht Hebammen, egal welches Geschlecht sie haben. Es braucht Menschen, die für diesen Beruf brennen, eine Leidenschaft dafür haben und vor allem das Interesse daran mitbringen. Außerdem müssen sie trotz der Bedingungen, die wir im deutschen Gesundheitswesen haben, Lust haben in diesem Beruf zu arbeiten. Da ist es egal, welches Geschlecht sie haben.
wmn: Wie findest du es, dass der Hebammenberuf seit kurzer Zeit ausschließlich akademisiert wurde?
Tobias: Das ist ein bisschen schwierig. Ich finde es einerseits ein kleines bisschen schade, weil die Ausbildung viele gute Aspekte hat, die ich persönlich nicht missen möchte. Aber das Studium ist auch ein Schritt nach vorne, gerade wenn es um Augenhöhe geht.
Die Fertigkeit des wissenschaftlichen Arbeitens kommt dazu, was zuvor in der Ausbildung gar keine Rolle gespielt hat. Man lernt jetzt dadurch unter anderem auch wissenschaftliche Studien zu lesen, was super wichtig ist. Forschung im Bereich Geburtshilfe ist in Deutschland noch nicht so weit, wie beispielsweise im amerikanischen Raum. Deswegen ist es jetzt total spannend, zu beobachten, wie ein eher handwerklicher Berufsstand jetzt an die Hochschule überführt wird.
Der Überraschungseffekt einer männlichen Hebamme
wmn: Gibt es manchmal einen Überraschungseffekt, wenn du im Kreißsaal auftauchst?
Tobias: Ja, ab und zu. Viele schreiben das aber tatsächlich erst im Nachhinein in eine Dankeskarte hinein. „Im ersten Moment, war ich ein bisschen überrascht, was aber natürlich total unbegründet war.“ Das gibt es immer mal wieder, aber die Menschen, die zu uns kommen für die Geburt, die wissen meistens, dass es hier auch männlichen Hebammen gibt. Für wen es ein Problem darstellt, gibt es natürlich die Möglichkeit, von unserer Seite, dass wir die Betreuung tauschen können.
„Jede Person mit Leidenschaft für den Beruf ist als Hebamme herzlich willkommen“
wmn: Was möchtest du jungen Menschen (vlt. besonders jungen Männern) mitgeben, die darüber nachdenken, in den Hebammenberuf einzusteigen?
Tobias: Ich möchte allen jungen Menschen, die sich für den Beruf der Hebamme interessieren, mitgeben, dass sie ein Praktikum machen und sich mit dem Berufsbild beschäftigen. Damit können sie herausfinden, was der Beruf mit sich bringt, was man dafür braucht und was es heißt, als Hebamme zu arbeiten. Dann ist auch jeder in unserem Berufsstand herzlich willkommen.