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Kintsugi Art neu interpretiert: Leuchtend gelbe Straßenkunst

Ken’ichiro Taniguchi verwandelt urbane Risse in leuchtend gelbe Kunst. Seine Kintsugi Skulpturen geben dem Verfall eine positive Wendung.

Gelber Kunststoff füllt Risse auf Kopfsteinpflaster, Kintsugi Art
© Ken’ichiro Taniguchi Studio

Isobel Markus über die Berliner Salonage | FUNKY Berlin

Die Berliner Salonage verbindet die Tradition der historischen Berliner Salons mit gegenwärtiger Kunst. Sie bietet Künstler*innen verschiedener Richtungen eine thematische Bühne, auf der sie Neues ihrer Arbeit vorstellen und mit dem Publikum in Austausch treten.Wir haben mit der Schriftstellerin Isobel Markus darüber gesprochen, wie sie die Berliner Salonage gemeinsam mit der Lettrétage ins Leben gerufen hat.

Leuchtend gelbe Flüsse auf Kopfsteinpflaster, Asphalt oder anderen urbanen Oberflächen mit vielen Rissen. Diese außergewöhnliche Straßenkunst hat der Künstler Ken’ichiro Taniguchi platziert. Er möchte damit die Schönheit der Risse hervorheben. In Japan sind solche urbanen Unzulänglichkeiten als Hecomi bekannt, Taniguchi gibt Hecomi mit seiner Neuinterpretation von Kintsugi Art eine positive Wendung. Das steckt in und hinter seiner einzigartigen Straßenkunst.

Ken’ichiro Taniguchi: Dafür steht Hecomi

Seit dem Jahr 2000 befasst sich der japanische Künstler Ken’ichiro Taniguchi mit Hecomi und dessen Bedeutung. Für ihn besitzt die reine Form von Hecomi keinen abstoßenden, sondern einen vielfältigen und faszinierenden Charakter. Vor allem sieht Taniguchi in diesen Rissen und Bruchstellen die aufeinander wirkenden Kräfte von Mensch und Natur.

Bild von Ken’ichiro Taniguchi
© Ken’ichiro Taniguchi Studio – Der japanische Künstler Ken’ichiro Taniguchi.

Doch was genau verstehen die Japaner:innen unter Hecomi? „Das japanische Verb ‚heko-mu‘ beschreibt die physische Eindrückung der Oberfläche eines Objekts oder das Gefühl, emotional bedrückt zu sein“, erklärt Ken’ichiro Taniguchi in seinem Künstler-Statement. Der Künstler hat das Verb weiterentwickelt, daraus Hecomi gemacht.

Mit dem Begriff Hecomi meint er von Menschenhand geschaffene Oberflächen, die durch natürliche Kräfte beschädigt wurden. Hecomi zeigt sich also in Rissen, Bruchstellen und anderen Unzulänglichkeiten in der Stadt. Dass mit Hecomi negative Assoziationen einhergehen, ist kaum verwunderlich und dennoch für Taniguchi eine Situation, die er ändern möchte.

Von Hecomi zu Reperaturkunst: Defintion von Kintsugi Art

Wie? Mit gelber Farbe, welche trotz anorganischer Textur die verzweigten Risse und Furchen nachbildet. Seine gelben Kunstwerke scheinen eine Neuinterpretation von Kintsugi Art zu sein, einer japanischen Reparaturkunst, bei der Unvollkommenheiten geehrt werden. Kintsugi betrifft im traditionellen Sinne Keramik, bei dessen Reparatur Bruchstellen mithilfe von feinstem Pulvergold hervorgehoben werden. Taniguchi schafft eine moderne und eigene Variante von Kintsugi.

So wandelbar ist Hecomi-Kunst

Sieht man die Fotos von Ken’ichiro Taniguchi’s Hecomi-Montagen im urbanen Raum, lässt sich die Ähnlichkeit von seinen gelben zart verzweigten Platten zu Kintsugi nicht leugnen. Doch der in Berlin ansässige Künstler geht einen Schritt weiter. Inspiriert vom Mechanismus eines Schweizer Taschenmessers, bleiben die gelben Street-Art-Werke nicht an Ort und Stelle ihrer Inspiration, sondern werden zu faltbaren Skulpturen. Wie Taniguchi seine faltbare Kunst anfertigt?

„In Hecomi Fitting schneide ich die Formen der Hecomi aus leuchtend gelben PVC-Platten aus recycelten Materialien aus und lasse sie in die vorhandenen Risse einrasten“, berichtet der Artist. Die gelben Negative füllen die Narben der Stadt, wie seine Fotos beweisen. Erst dann verwandelt er seine Kintsugi Art in faltbare Skulpturen. „Nachdem ich der Form des Hecomi durch dieses Ritual des Einfügens der Formen in die Risse gehuldigt habe, kann ich endlich zur nächsten Phase der Arbeit an meinen Skulpturen übergehen“, erklärt Taniguchi. Dafür durchtrennt er die gelbe Kunststoffplatte an ihren dünnsten Stellen, um dort Scharniere anzubringen. Aus Kintsugi Art wird von nun an eine Origami-Skulptur, die durch die Scharniere viele verschiedene Konfigurationen annehmen kann. Im Gespräch verrät der japanische Künstler: „Diese abstrakten, beweglichen Skulpturen, die ich Hecomi Studies nenne, werden durch das Falten flacher Flächen dreidimensional. Sie funktionieren für mich wie Spielzeuge, die es mir ermöglichen, über die Formen der Hecomi nachzudenken und sie immer wieder zu verändern.“

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Nach dem Falten der Straßenkunst zu Skulpturen verlieren die Kunstwerke ihren ursprünglichen Kontext. Nur die Titel lassen einen lokalen Bezug zu, denn jede Skulptur trägt den Namen des jeweiligen Ortes. Taniguchis Kunst macht aus etwas Negativem etwas Positives, nicht nur was das haptische Werk betrifft.

Gelber Kunststoff füllt Risse auf Steinfließen, Kintsugi Art
© Ken’ichiro Taniguchi Studio Titel: Higashikawa Shrine, Hecomi Study, Ken’ichiro Taniguchi.

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City-Study, Kintsugi Art aus der Vogelperspektive

In den letzten Jahren versteht Taniguchi den gesamten urbanisierten Wohnraum als Hecomi, was sich auch optisch zeigt. Von oben aus betrachtet, erinnern Städte an Risse, die sich durch die Natur ziehen. Dieser Sichtweise widmet sich der Künstler ebenfalls in seiner Stadt-Studie, die aus Hecomi entstanden ist.

Gelber Kunststoff in gefalteter Form
© Ken’ichiro Taniguchi Studio – Higashikawa Shrine in gefalteter Form, Hecomi Study, Ken’ichiro Taniguchi.

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In dieser entwickelt er Karten, bei denen es vor allem um das Vergleichen von Formen geht. Auf seiner Website erklärt er: „Wenn ich die Stadt aus der Vogelperspektive betrachte, sehe ich die Breite der menschlichen Aktivitäten, die sozusagen einen Hecomi inmitten der Natur gebildet haben.“ Dass dies im aktuellen Zeitgeist nicht nur positiv gedeutet wird, ist Taniguchi durchaus bewusst: „Die Arbeit dokumentiert den ständigen Kampf zwischen dem Grün (der Natur) und der Stadt, aber manchmal auch organische Formen der Freundlichkeit zueinander sowie die Dynamik der Flüsse, die durch die Stadt fließen, und die Formen, die die Geografie und Geschichte der Stadt selbst widerspiegeln.“

Der Artikel stammt von Redakteurin Judith Püschner