Die Unschuld nehmen, entjungfern, die Blume pflücken oder auch die Defloration: All diese Begriffe sind wenig glücklich gewählt, um etwas eigentlich sehr Schönes zu beschreiben. Doch nicht nur das Vokabular lässt zu wünschen übrig, bis heute ranken sich zahlreiche Mythen um das erste Mal Sex.
Ganz vorne dabei: Mythen um das Jungfernhäutchen. Viele Frauen wachsen mit dem vermeintlichen Wissen auf, dass dieses Häutchen reißt und für jede Menge Blut sowie Schmerzen beim ersten Mal sorgt. Es ist Zeit, mit diesem Mythos aufzuräumen.
Defloration & sich die Blume pflücken lassen?
Das Wort Defloration stammt vom lateinischen Wort deflorare ab, was so viel wie der Blume berauben bedeutet. Diese Bedeutung hält sich bis heute, denn so ziemlich jeder weiß, was es bedeutet, sich die Blume pflücken zu lassen.
Das Problem an diesem Begriff ist allerdings – so nett er auch im ersten Moment klingen mag, unsere Vagina als Blume zu bezeichnen – dass hier von einem passiven Berauben die Rede ist. Damit einher gehen veraltete Denkweisen von Reinheit und Unschuld, die eine Frau einbüßt, wenn sie sich dem penetrativen Sex hingibt.
Ist der Begriff der Entjungferung denn besser?
Defloration ist demnach als Begriff eher unglücklich gewählt, weil er verschweigt, dass Sex niemanden seiner Ehre beraubt, sondern schlicht beiden Seiten Spaß bringen soll. Ja, bereits ab dem ersten Mal. Als Synonym wird daher gerne auch von der Entjungferung gesprochen.
Aber auch dieser Begriff ist problematisch, wenn man bedenkt, dass eine Jungfer eben nicht nur eine unverheiratete Frau sein kann, sondern dem Duden zufolge auch abschätzig eine prüde und zimperliche Frau bedeuten kann. Obendrein fehlt es an einem männlichen Pendant á la Jungmännlichkeit im Gegensatz zur Jungfräulichkeit. Auch dieser Begriff gibt dem ersten Mal somit einen negativen Beigeschmack.
Mythos Jungfernhäutchen
Die meisten von uns werden mit echten Horrorstorys zur „Defloration“ aufgewachsen sein. Auch ich habe erzählt bekommen, dass es in meiner Vagina eine dünne Hautschicht aka. das Jungfernhäutchen gibt, das beim ersten Mal Sex reißt. Wenn ich Glück hätte, würde es mir allerdings schon beim Sport reißen, hieß es.
Dieses vermeintliche Wissen hat natürlich die Angst vor dem Moment des Reißens geschürt, zumal dieser mit viel Schmerz und Blut versprochen wurde. Etwas verwundert war ich dann schon, als bei meinem ersten Mal das Blut völlig ausblieb. Und mit dieser Verwunderung werde ich nicht allein geblieben sein. Denn tatsächlich bluten nur weniger als die Hälfte der Frauen bei ihrer „Defloration“.
Wo bleibt das versprochene Blut?
Wie jetzt, weniger als 50 % bluten nur? Wie geht das denn? Ganz einfach, weil es so etwas wie ein Jungfernhäutchen, jedenfalls, wie wir es uns vorstellen, nicht gibt. Stattdessen gibt es das Hymen. Keine dünne Hautschicht, sondern ein Schleimhautsaum, der sich an der Vaginalöffnung befindet und immer unterschiedlich geformt ist.
Dieser Vaginalkranz verschließt die Vagina nicht, sondern verengt sie lediglich. Mit der Pubertät wird das Hymen dann dehnbar. Die Angst davor, das Hymen zu zerstören, indem man sich Tampons oder Sexspielzeug einführt oder zu übereifrig Sport treibt, ist daher völlig unbegründet.
Und wenn es doch blutet beim ersten Mal Sex? Das liegt zumeist daran, dass man bei dem ungewohnten Gefühl eines eindringenden Penis verkrampft. Das Hymen kann dann weniger gedehnt werden und kann kleine Risse davontragen, die bluten. Das ist allerdings kein Problem und verheilt schnell. Nachhelfen kann man mit viel Gleitgel. Auch ein besonders umsichtiges Vorgehen beim Eindringen hilft, die Dehnung des Hymens schmerzfrei ablaufen zu lassen.
Manche möchten um jeden Preis bluten
Nicht jeder möchte sich bei seiner „Defloration“ allerdings in Umsicht üben. Manche legen es geradezu darauf an, zu bluten. Denn ein blutiges Laken nach der Hochzeitsnacht galt lange Zeit als Beweis dafür, dass die Frau jungfräulich war.
Leider ist dieses Denken bis heute bekannt, sodass sich Frauen gar einem chirurgischen Eingriff unterziehen, bei dem sie das Hymen rekonstruieren und verengen lassen, um ein Bluten bei der „Defloration“ zu provozieren. Und das, obwohl Studien längst widerlegen, dass dieser Eingriff ein Garant für ein blutiges Laken ist.
Wer sich keinen operativen Eingriff leisten kann, setzt stattdessen auf Kunstblut oder künstliche Jungfernhäutchen aus Zellulose, die sich durch Reibung und Wärme auflösen. Und das alles nur wegen eines Mythos, der Frauen auf der ganzen Welt unterdrücken soll.
Jungfräulichkeit hat keinen Wert
Vielen Frauen, mich eingeschlossen, wurde erzählt, dass meine Jungfräulichkeit ein Geschenk sei und ich weise überlegen solle, wem ich dieses Geschenk mache. Anderen Frauen wird gar erzählt, sie machen sich schuldig, wenn sie ihre Unschuld geben.
Doch wird hier wie so häufig im Patriarchat mit zweierlei Maß gemessen. Denn Männer unterliegen diesen Einschränkungen und Verboten, keinen Sex vor der Ehe zu haben, nicht. Der Mythos des Jungfernhäutchens zeigt einmal mehr den Versuch, die weibliche Sexualität einzudämmen und Frauen Scham einzubläuen, wo sie keineswegs welche verspüren müssen.
Sex ist eine Frage der Selbstbestimmung und der Wert einer Frau misst sich nicht daran, ob sie Sex hatte oder eben unberührt ist. Daher muss der Mythos des Jungfernhäutchens dringend überwunden werden.
„Defloration“ & „Jungfernhäutchen“ sind überholte Begriffe
Das erste Mal Sex zu haben ist weder ein passiver Akt, bei dem man defloriert wird, noch reißt dabei das Jungfernhäutchen wie in einem Splattermovie. Das erste Mal sollte keine Angst vor Schmerzen bedeuten oder davor, sich dem Falschen hinzugeben. Vielmehr sollte man sich fallen lassen können und die schönste Sache der Welt schlicht genießen.
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