Ich persönlich bin im Alltag sehr selten mit dem Thema Tod konfrontiert. Auch mein eigener Tod ist ein noch sehr weit weg für mich. Ich habe mit 2 Frauen gesprochen, für die der Tod zum Arbeitsalltag gehört, denn sie arbeiten in der Sterbebegleitung.
Sterbebegleitung und was dazu gehört
- Ambulanter Hospizdienst: Was ist das?
- Wie wird man Sterbebegleiterin?
- Welche Fähigkeiten brauche ich in der Sterbebegleitung
- Sterben ist genauso individuell wie leben
- Thema Tod auf Festivals?
- Vorurteile gegenüber Sterbebegleitung
- „Das auszuhalten, ist manchmal sehr schwierig.“
- Wie passen Hoffnung und Sterben zusammen?
- Die Angst vor dem Tod
- „Ihr Sterben war geprägt von Lebendigkeit und Liebe“
- Das persönliche Happy End
- Sterbebegleitung: Das Leben von Sterbenden lernen
Ambulanter Hospizdienst: Was ist das?
wmn: Ihr beide seid Koordinatorinnen eines ambulanten Hospizdienstes. Was bedeutet das?
Sonja: Ein ambulanter Hospizdienst begleitet Menschen in ihrer letzten Lebensphase. Sie sind so aufgestellt, dass hauptamtliche Koordinator:innen beratend zur Seite stehen und ehrenamtliche Sterbebegleiterinnen, die betroffenen Personen oder die Familien einmal wöchentlich für paar Stunden besuchen und mit denen Zeit verbringen.
Die Besonderheit an unserem Dienst ist, dass wir Familien begleiten, in denen Elternteile an Krebs erkrankt sind. Unsere Ehrenamtlichen werden dafür ausgebildet und begleiten dann schließlich die gesunden Kinder und Jugendlichen der erkrankten Elternteile.
Das bedeutet, dass die Ehrenamtlichen zu den Kindern gehen und mit denen spielen, Hausaufgaben mache, oder sie zu Aktivitäten bringen und wieder abholen. So verbringen die Kinder einmal in der Woche eine schöne Zeit mit den Ehrenamtlichen und entlasten bestenfalls die Eltern auch noch in dieser Zeit.
Wie wird man Sterbebegleiterin?
wmn: Wie bist du zu deinem Beruf gekommen?
Yvonne: Ich komme eigentlich aus der Krankenpflege. Ich bin gelernte Kinderkrankenschwester und hab da gemerkt, dass ich nicht mit den Werten arbeiten konnte, die ich mir gewünscht habe. Es fehlte die Zeit für die Patient:innen.
Es war mir nicht möglich, ihnen Annahme zu schenken und sie an ihren eigenen Bedürfnissen zu begleiten. Diese Möglichkeiten habe ich im Gesundheitssystem und besonders im Krankenhaus nicht gesehen und bin dann durch einen Zufall in die Palliativmedizin gerutscht. Dort kann ich diese Werte voll und ganz ausleben und mich nach den eigenen, ganz individuellen Bedürfnissen der Patient:innen oder der Menschen, die wir begleiten dürfen, richten.
Erst in der Sterbebegleitung konnte ich mir richtig Zeit für die Menschen nehmen.
Yvonne über ihren Weg zur Sterbebegleitung
wmn: Was macht man in der Sterbebegleitung?
Sonja: Es ist so, dass es verschiedene Formen der Sterbebegleitung gibt. Die einen, die begleiten die Menschen in ihrer letzten Lebensphase. Das kann in einem Hospiz, zu Hause oder auch in einem Seniorenheim sein und wir besprechen dann die Bedürfnisse der Personen.
Dann gibt es noch den Familienbegleitdienst. Dort begleiten die Ehrenamtlichen die gesunden Kinder von erkrankten Eltern und unternehmen schöne Dinge mit ihnen.
Welche Fähigkeiten brauche ich in der Sterbebegleitung
wmn: Welche Fähigkeiten braucht man in der Sterbebegleitung?
Yvonne: Die wichtigste Fähigkeit ist meiner Meinung nach das Zuhören. Und man sollte Annahme mitbringen. So wie wir drei ganz individuelle Menschen sind, so begleiten wir auch ganz individuelle Familien, mit ganz individuelle Lebensgeschichten und da nicht zu werten, sondern einfach nur Teilzunehmen ist wichtig.
Sonja: Darauf werden die Ehrenamtlichen in einem Kurs vorbereitet. In diesen Kursen lernt man sich selber noch mal anders kennen. Man hinterfragt die eigene Haltung zum Leben, aber auch zum Sterben.
wmn: Wie geht es vor allem für Familien und Kinder nach dem Tod eines Angehörigen weiter?
Sonja: Da sind wir auch eine Besonderheit in der Hospiz Landschaft, weil wir begleiten die Kinder der erkrankten Elternteile über den Tod hinaus, und zwar im Grunde genommen so lange, bis irgendjemand keine Lust mehr hat.
wmn: Wie hat euer Beruf, eure Sicht auf das Leben verändert?
Sonja: In unserem Beruf wird Menschen, egal wo sie herkommen, egal wie alt sie sind, mit Respekt und Wertschätzung und Offenheit begegnet, und das ist etwas, dass die Menschen, die sich so in dieser Hospiz-Landschaft bewegen, mitnehmen.
Eine sehr positive Haltung zum Leben und auch zu den Menschen, auf die sie treffen, führt sich ins eigene Leben fort. Deswegen ist es so ein persönlicher Gewinn für uns, in diesem Bereich tätig zu sein, weil man Menschen immer offener, mit Neugierde und Wertschätzung begegnet.
Es gibt natürlich Tage, die steigen mir zu Kopf, aber wenn ich dann in eine Begleitung gehe, dann hilft es mir immer, eine neue Perspektive zu gewinnen. Ich frage mich: „Lebe ich gerade nach meinen eigenen Werten und nimmt das gerade den Raum und die Wichtigkeit ein, die es einnehmen soll?“
Sterben ist genauso individuell wie leben
wmn: Wie unterscheidet sich die Realität der Lebenden von der Realität der Sterbenden?
Yvonne: Ich habe oft gemerkt, dass sich das Leben mehr nach innen fokussiert wird und sich Menschen zurückziehen. Viele beschäftigen sich mehr mit sich selbst, weil die Welt da draußen ist ein bisschen zu viel geworden ist und oft gar nicht mehr diese Wichtigkeit hat. Wichtig ist das, was in einem selbst passiert
Das Sterben ist wie das Leben: individuell. Und die Menschen gehen ganz unterschiedlich damit um. Manche Menschen sind schon kurz vor dem Versterben und wollen immer noch nicht sehen, dass das Leben jetzt zu Ende ist. Andere Menschen leben mit der Sicherheit, dass sie irgendwann mal sterben werden, gehen sehr offen mit der Situation um. Dann fallen oft die Fragen:
„Was kann nicht für mein Leben da jetzt noch daraus ziehen?“
„Was möchte ich in meinem Leben noch machen?“
„Was möchte ich noch erreichen?“
wmn: Warum spielt eurer Meinung nach der Tod im Alltag so eine kleine Rolle?
Sonja: Die Schwierigkeit liegt häufig darin, dass wir gar nicht mehr so viel Kontakt zum Tod in unserem Alltag haben. Früher haben die Menschen häufiger in Großfamilien gelebt und gleichzeitig war die Lebenserwartung viel geringer. Es wurde mehr zu Hause gestorben, während die Menschen heute in Heimen oder Krankenhäusern ihre letzten Tage verbringen.
Früher wurde mehr zu Hause gestorben.
Sonja über unseren Bezug zum Tod
Wir erleben den Tod nicht mehr so nah aus dem eigenen Umfeld und deswegen glaube ich, dass die Sorge und Unsicherheit vor dem Tod auch entsprechend gewachsen ist.
Thema Tod auf Festivals?
wmn: Was sollte sich im Umgang mit dem Thema Tod in unserer Gesellschaft verändern?
Yvonne: Wir sind uns glaube ich alle ganz einig, dass wir das die Themen Sterben, Tod und Krankheit enttabuisieren wollen und diverse Hospiz Vereine versuchen das irgendwie in die Gesellschaft zu tragen.
Dazu gehören Projekte wie: Hospiz macht Schule. Dabei handelt es sich um eine Projektwoche, in der wir zu Schulen fahren und über das Thema Tod und Sterben sprechen.
Wir wollen den Tod mehr ins Leben holen.
Yvonne über den Sinn von Aufklärung über die Hospizarbeit
Einige Ehrenamtliche haben seit Neuestem auch Festivals für uns entdeckt und betreiben dort Aufklärungsarbeit und wollen das Thema einfach mehr ins gesellschaftliche Leben reinholen. Vor allem auch vermehrt bei jungen Menschen, die wir auch versuchen anzusprechen, ob sie nicht bei uns ehrenamtlich tätig werden möchten.
wmn: Welchen Vorteil hat die Arbeit als junger Mensch in der Sterbebegleitung?
Sonja: Das hat zum einen den Vorteil, dass die Kinder und Jugendlichen mitunter lieber mit jüngeren Leuten unterwegs sind als mit sehr viel älteren, und zum anderen ist es so, dass wir bei der Personengruppe der jüngeren Menschen natürlich auch schon eine bestimmte Nähe zu den Themen Sterben, Tod und Trauer hervorbringen wollen.
Wenn jemand als junger Mensch sagt: „Ich mache hier so ein cooles Ehrenamt“ und darüber mit Menschen ins Gespräch kommt, ist einiges an Arbeit schon getan.
Vorurteile gegenüber Sterbebegleitung
wmn: Was ist die größte Fehlannahme von Menschen über euren Beruf?
Yvonne: Viele denken, dass da ganz wenig Hoffnung und ganz wenig Leben in unserer Arbeit ist. Tatsächlich ist eher das Gegenteil der Fall: Im Hospiz auch oder auch bei uns in den Familien wird so viel Wertigkeit darauf gelegt, dass dem den letzten Tagen so viel Leben und Hoffnung wie möglich zu geben.
Die Hoffnung muss nicht immer riesengroß sein. Dabei geht es nicht um den ganz großen Lebenstraum, sondern um die kleinen Dinge, die Hoffnung bringen. Das Spannende ist, die Hoffnung muss nicht einmal erfüllen, um ihre Wirksamkeit zu zeigen.
Die Hoffnung muss sich nicht erfüllen, um ihre Wirksamkeit zu zeigen.
Yvonne über Fehlannahmen in der Sterbebegleitung
wmn: Wie reagiert euer Umfeld auf eure Arbeit?
Sonja: Menschen, die selbst jemanden verloren haben, sind dem sehr offen und wohlgesonnen gegenüber uns. Es gibt natürlich auch Menschen, die sich vor diesem Thema fürchten und sich damit überhaupt nicht auseinandersetzen wollen.
Die verbindenden mit unserem Beruf eine Schwere und denken, dass wir den ganzen Tag depressiv durch die Gegend laufen. Die verstehen nicht, dass wir nicht nur das Sterben begleiten, sondern wir begleiten vor allem das Leben.
Wir begleiten vor allem das Leben.
Sonja
„Das auszuhalten, ist manchmal sehr schwierig.“
wmn: Was würdet ihr sagen, ist die größte Schwierigkeit in eurem Beruf?
Sonja: Für mich persönlich ist es manchmal schwierig, wenn Personen in ihrer letzten Lebensphase eine gute Versorgung brauchen und diese nicht gegeben ist. Das liegt manchmal daran, dass es die Versorgung in der Region nicht gibt oder dass die Kapazitäten für die angemessene Versorgung fehlen.
Und das mit auszuhalten, das ist manchmal sehr schwierig.
Wie passen Hoffnung und Sterben zusammen?
wmn: Haben Optimismus und Hoffnung Platz in einem Hospiz?
Yvonne: Hoffnung ist ein ganz großer Träger. Ich persönlich habe in den Begleitungen schon oft Menschen gesehen, die schon einige Tage nicht mehr gegessen und getrunken haben. Da war klar, hier sind die letzten Lebenstage angebrochen. Wenn dann aber ein Hoffnungsträger, wie der Besuch einer lieben Person eintritt, wurden sie von einer Kraft getrieben, die wir eigentlich nur einer Hoffnung zuschreiben können.
Bis dahin wird dann auf einmal alles möglich gemacht und dieser Mensch schafft es das Wochenende noch zu überleben und diesen Bruder oder diese Schwester noch zu erleben um sich voneinander verabschieden zu können.
Es gibt immer wieder Situationen, die medizinisch unmöglich schienen.
Yvonne über Hoffnung in ihrem Beruf
Das ist nur ein Beispiel für Situationen, die eigentlich medizinisch unmöglich schienen, bei denen jemand von Hoffnung getragen war.
Die Angst vor dem Tod
wmn: Habt ihr selbst Angst vor dem Tod?
Yvonne: Nein
Sonja: Ich kann tatsächlich diese Frage erst dann beantworten, wenn ich mich damit auseinandersetzen muss.
Was wir aber sehr gut können, ist darüber reden und das nicht als Tabuthema zu nehmen. Wir suchen uns unsere Ansprechpartner:innen, wenn wir Ängste oder Sorgen haben. Ich glaube, die Möglichkeit, mit anderen Menschen über diese Themen zu sprechen, fehlt einigen.
„Ihr Sterben war geprägt von Lebendigkeit und Liebe“
wmn: Könnt ihr einen schönen Moment in eurem Arbeitsalltag benennen?
Sonja: Also ich habe mal eine junge, alleinerziehende Mutter begleitet. Die war erst 38 Jahre alt, hat die ganze Zeit gekämpft, weil sie wollte überhaupt nicht sterben. Nach sehr langen, sehr kräftezehrenden Therapien war irgendwann klar, dass sie stationäre Hospiz muss.
Irgendwann kam ein Moment, in dem man ihr richtig angemerkt hat, wie die Last des Kampfes, des Durchhalten von ihr abgefallen ist. Auf einmal war sie total entspannt und dazu in der Lage, die letzten Tage ihres Lebens im Hospiz sehr schön zu verbringen. Es sind ganz viele Leute zu Besuch gekommen, um sich zu verabschieden und diese Zeit war geprägt von guter Laune, Heiterkeit und unglaublich viel Liebe.
Das persönliche Happy End
Yvonne: Für mich haben eigentlich alle Begleitung auch irgendwie was Schönes und sie alle tragen ein Stück Weisheit mit sich. Es gab einmal eine Dame, die mit ihrem Mann an einem Ort gewohnt hat, und normalerweise ist sie im Sommer mal zwei Monate zu ihrem Bruder in ein anderes Bundesland gefahren. Davon hat sie immer sehr lebendig und glücklich erzählt.
Irgendwann hat jemand aus dem Team gefragt, ob das nicht eigentlich noch ein letztes Mal möglich wäre?
Das war zuvor überhaupt nicht im Raum der Möglichkeiten für sie und alleine die Perspektive darauf zu haben, entfachte diese unglaubliche Hoffnung in ihr. Es hätte sich gar nicht unbedingt erfüllen müssen. Alleine in den Wochen der Planung gab so viel Hoffnung und so viel Lebensqualität für diese Person und dass es am Ende funktioniert hat, war ihr persönliches kleines Happy End.
Manchmal geht es funktionieren solche Dinge. Wenn alle zusammen arbeiten und alle Kräfte mobilisiert werden, können wir noch etwas richtig Schönes für diese Menschen schaffen.
Yvonne über eine schöne Erinnerung einer Begleitung
SAP Wünschwagen: Ein Projekt des Arbeiter-Samariter-Bundes in Deutschland. Es umfasst den Einsatz von speziellen Krankentransportwagen zur Erfüllung letzter Wünsche von Sterbenskranken.
Der SAP Wünschewagen hat sie dorthin gebracht und dann hat sie tatsächlich noch einmal vier Wochen Urlaub bei ihrem Bruder machen können, mit Hilfe und Versorgung durch den SAPV Dienst.
Manchmal geht es funktionieren solche Dinge. Wenn alle zusammen arbeiten und alle Kräfte mobilisiert werden, können wir noch etwas richtig Schönes für diese Menschen schaffen.
Sterbebegleitung: Das Leben von Sterbenden lernen
wmn: Was können wir von sterbenden Personen lernen?
Das Leben! Selten erlebt man so intensiv, wie Menschen das Leben so fokussieren und ihre letzten Tage so lebenswert gestalten. Und wir haben die Ehre, das miterleben zu dürfen.
Interesse?
Wenn du Interesse an dieser anspruchsvollen Tätigkeit hast und zudem etwa drei Stunden wöchentlich am Nachmittag zur Verfügung stellen kannst, kannst du dich entweder hier informieren, oder dich direkt per Mail an antje.rueger@malteser.org wenden.
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