Eine Jungfrau ist eine Person, die bisher keinen Geschlechtsverkehr hatte. Als entjungfert gilt, wer penetrativen Sex hatte. Bei Frauen kommt hinzu, dass dabei das „Jungfernhäutchen“ reißt. So weit die rückständige Theorie zum Konstrukt der Jungfräulichkeit. Denn diese Annahmen sind nicht nur überholt, sondern zu Teilen auch grob falsch. In diesem Artikel liest du, warum schon die Frage danach, wo das „Jungfernhäutchen“ sitzt, schlecht gestellt ist…
Der Mythos um das „Jungfernhäutchen“
Ich persönlich zucke schon bei dem Wort „Jungfernhäutchen“ zusammen. Zum einen, weil es zur Stigmatisierung und zur Unterdrückung der Frau beiträgt. Warum ich das glaube, liest du hier. Zum anderen, weil es mit dem Wort der Jungfer verwandt ist, welches im Duden zum einen als unverheiratete Frau geführt wird, aber eben zum anderen auch abschätzig eine prüde und zimperliche Frau bedeuten kann.
Hinzu kommt, dass das Wort explizit weiblich ausgelegt ist. Es fehlt demnach an einem Pendant wie Jungmännlichkeit. Einmal mehr wird die weibliche Sexualität damit in ein (sprachliches) Korsett gezwängt.
Wo liegt eigentlich das „Jungfernhäutchen“? Warum das die falsche Frage ist
Mal von der missglückten Bezeichnung des „Jungfernhäutchens“ abgesehen, kommt hinzu, dass es so was überhaupt nicht gibt. Zumindest nicht in der Art, wie wir es uns lange vorgestellt haben. Bewusst nutze ich daher auch die Gänsefüßchen, um dem Wort keine größere Bühne zu verschaffen.
Auch mir wurde in meiner Jugend erzählt, ich hätte eine dünne Hautschicht in der Vagina, die beim ersten Mal Sex reißen würde. Schmerzen und Blut inklusive. Als dann bei meinem ersten Mal sowohl die Schmerzen als auch das Blut ausblieben, kam ich nicht umhin, mich zu fragen, ob ich nun immer noch Jungfrau sei?
Heute weiß ich, dass ein „Jungfernhäutchen“ keine Hautschicht ist, die uns wie Frischhaltefolie verschließt. Immerhin muss sich beispielsweise das Periodenblut seinen Weg nach außen bahnen können. Aus diesem Grund ist die Frage danach, wo das „Jungfernhäutchen“ sitzt, unglücklich gestellt. Stattdessen sollte die Frage lauten: Wo sitzt das Hymen?
Weiterlesen: Darum kannst du ohne Bedenken einen Tampon nutzen, ohne dein „Jungfernhäutchen“ zu zerstören.
Das Hymen verschließt nicht, es verengt
Statt einer dünnen Hautschicht sitzt am vorderen Eingang der Vagina (etwa zwei Zentimeter hinter der Vaginalöffnung) nämlich das sogenannte Hymen. Dieser kranzartige Schleimhautsaum ist immer unterschiedlich geformt und verengt den Eingang zu unseren inneren Geschlechtsorgangen. Körperflüssigkeiten können sich so problemlos ihren Weg nach außen bahnen.
Mit der Pubertät wird das Hymen dehnbar. Dringt beim Sex nun ein Sexspielzeug oder ein Penis ein, wird es geweitet. In 50 % der Fälle kann es dabei zu Blutungen beim Sex kommen, weil sich kleine Risse am Hymen bilden. Gerade einmal die Hälfte der Frauen blutet demnach beim ersten Mal Sex!
Übrigens: Sex funktioniert auch ohne Penetration
Bis heute hält die landläufige Meinung vor, Sex wäre nur dann „richtig“, wenn es zur Penetration kommt. Dieses Bild von Sexualität ist jedoch in meinen Augen überholt. Denn Sex ist so viel mehr und beginnt auch bei Praktiken, die ohne Penetration auskommen: Sinnliche Berührungen, Petting und Oralverkehr sind nur einige Beispiele dafür. Auch aus diesem Grund sollte bei der Defloration nicht länger nur die Penetration und damit einhergehend die Dehnung des Hymens im Fokus stehen.
Mein Plädoyer lautet daher: Hört auf das erste Mal Sex mit dem Reißen des „Jungfernhäutchens“ gleichzusetzen, verabschiedet euch überhaupt vom Begriff des „Jungfernhäutchens“, sprecht lieber vom Hymen und beginnt, Sex als Praktik zu verstehen, die mehr als das altbekannte Rein-Raus-Spiel bedeutet.
Ähnliche Artikel: