Fallen einer älteren Dame auf dem Supermarktparkplatz die Tüten runter, eilen wir sofort hin, um ihr zu helfen. Gehen wir jedoch einkaufen und können die ganzen Waren nicht mit einem Mal zum Auto buckeln, würden wir nie auf die Idee kommen, uns helfen zu lassen. Lieber laufen wir zwei Mal. Helfen scheint in die menschliche DNA eingeschrieben zu sein. Hilfe annehmen fällt vielen dagegen schwer. Dabei ist es unabdingbar, sich ab und an helfen zu lassen …
Was dich zum Thema „Hilfe annehmen“ erwartet
Helfen fühlt sich besser an als Hilfe annehmen
An Bahnhöfen kann man das Phänomen besonders gut beobachten. Am Treppenabsatz steht eine Frau mit Kinderwagen. Der Fahrstuhl ist mal wieder kaputt. Noch bevor die junge Mutter überhaupt auf die Idee kommen kann, um Hilfe zu bitten, stehen bereits drei Reisende um sie herum, die ihre Hilfe anbieten. Gemeinsam tragen sie den Kinderwagen empor.
In unserer Gesellschaft gilt: Anderen zu helfen ist nobel. Sich helfen zu lassen ist schwach. So sieht zumindest das Stigma in den Köpfen vieler aus. Aber warum helfen wir so gern? Weil wir so erzogen wurden? Verschiedene Studien konnten belegen, dass es an einem viel einfacheren Grund liegt: Helfen fühlt sich verdammt gut an. Bestimmt kennst auch du das Gefühl, dir nach einer guten Tat lächelnd selbst auf die Schulter klopfen zu wollen.
Außerdem wirkt sich Helfen positiv auf unsere Gesundheit aus. Wer anderen hilft und sich beispielsweise ehrenamtlich betätigt, stärkt sein Immunsystem und reduziert Stress. Das liegt daran, dass beim Helfen Glücksgefühle im Gehirn ausgelöst werden. Die gleichen Gefühle übrigens, die uns gutes Essen oder guter Sex beschert.
Die Sozialpsychologinnen Naomi Eisenberger und Tristen Inagaki konnten diese Annahme unter anderem in einer Studie bestätigen. Die Forscher:innen der University of California untersuchten dafür Paare mithilfe von Magnetresonanztomografie. Im Versuch sollten sich Frauen in den Scanner legen, während ihre Partner starke Schmerzen durch Elektroschocks erleiden mussten. Eine Gruppe Frauen durfte ihren Männern Beistand leisten und ihre Hand halten. Die andere Gruppe musste dem Leiden ihrer Partner zusehen, ohne helfen zu dürfen.
Im Gehirn der Frauen, die ihren Männern helfen konnten, zeigten sich deutliche Aktivitäten im ventralen Striatum und in anderen Belohnungszentren des Gehirns. In der Kontrollgruppe, die nicht Händchenhalten durfte, waren diese Regionen hingegen nicht aktiv. Daraus schlussfolgerten Eisenberger und Inagaki, dass Hilfe anbieten nicht nur andere glücklich macht, sondern vor allem auch einen selbst.
Hilfe annehmen: Wieso fällt uns das so schwer?
Helfen macht glücklich. Nichtsdestotrotz fällt es vielen schwer, Hilfe anzunehmen, geschweige denn danach zu fragen. Woran liegt das? Wovor fürchten wir uns? Bei vielen schwingt die unterschwellige Angst mit, sie könnten schwach und abhängig wirken, sobald sie Hilfe annehmen.
Andere wollen sich nicht die Blöße geben und nicht den Eindruck erwecken, sie könnten etwas allein nicht schaffen. Auch ich würde mir die Einkaufstüten aus dem obigen Beispiel nicht tragen lassen. Erst recht nicht, wenn mir ein Mann seine Hilfe anbietet. Mein Stolz steht mir demnach im Weg, Hilfe anzunehmen.
Andere vermeiden es, um Hilfe zu bitten, weil sie nicht enttäuscht werden wollen. Lieber erledigen sie eine Aufgabe gleich selbst, bevor sie gar nicht, zu spät oder in mangelnder Qualität absolviert wird. Zu diesem Wesenszug neigen vor allem echte Perfektionisten und Perfektionistinnen.
Wieder andere wollen in keinem Fall Umstände bereiten und scheuen sich deshalb, andere Menschen um etwas zu bitten. Zuletzt bedeutet Hilfe annehmen immer auch, dass wir jemanden etwas schuldig sind. Und wer steht schon gerne in der Schuld von jemandem? Vor allem da oft nicht klar ist, wie hoch der Preis der Gegenleistung ausfällt. Vielleicht trägt uns heute jemand die neuen Stühle hoch, aber später soll man selbst einen ganzen Umzug im Gegenzug wuppen.
Um Hilfe bitten ist notwendig
Gründe, sich gegen Hilfe zu sträuben, gibt es viele. Die Sache ist aber die: Das Leben ist allein nicht zu meistern. Menschen sind soziale Wesen, die seit Urzeiten in Gruppen auftreten, um zu überleben. Zu denken, der Fortschritt der Menschheit könnte uns plötzlich alles allein schaffen lassen, geht nicht auf. Es sollte also der Punkt im Leben eines jeden einzelnen kommen, an dem man lernt, Hilfe anzunehmen.
Dieser Moment kommt einem Befreiungsschlag gleich. Zu wissen, dass man gar nicht alles allein schaffen muss, nimmt nämlich Ballast von der Brust. Außerdem bedeutet Hilfe annehmen, in letzter Konsequenz auch Vertrauen zu können. Wer sich helfen lässt, stärkt das innere Gefühl für Unterstützung und Zuspruch. Hilfe annehmen lässt uns innerlich wachsen und erinnert uns daran, dass wir nicht allein sind. Wir haben einen doppelten Boden. Ein Sicherheitsnetz.
Je eher man sich eingesteht, dass Hilfe annehmen das Normalste der Welt ist, desto eher aktiviert man außerdem sein Schutzschild. Ein Schutzschild, dass uns vor Stress und auch vor dem Ausbrennen bewahrt. In der Forschung rund um das Thema Resilienz, also der Fähigkeit, Stress zu bewältigen, geht man nämlich davon aus, dass Menschen die Hilfe annehmen, Krisen erfolgreicher überstehen als Menschen, die alles allein schaffen wollen.
Hilfe annehmen, bedeutet Stärke
Wer sich immerzu davor fürchtet, andere um einen Gefallen zu bitten, mag nach außen stark und selbstständig wirken. Diese Außenwirkung kann aber auch nach hinten losgehen. Die US-Psychologin Vicki S. Helgeson fand zum Beispiel heraus, dass die Hilfsbereitschaft anderer abnimmt, wenn man stets alle Hilfsangebote ablehnt.
Die anderen denken dann, man würde sehr gut allein zurechtkommen und keine Hilfe brauchen. In der Folge hören sie auf, ständig ihre Hilfe anzubieten. Das hat allerdings fatale Folgen für das Gleichgewicht in Beziehungen – ob zwischen Freund:innen oder Partner:innen. Gesunde Beziehungen fußen immerhin auf einem ausgewogenen Geben und Nehmen.
Hilfe annehmen, fühlt sich also nicht nur gut an, sondern ist auch wichtig, um dich vor Stress und Burn-out zu bewahren. Zuletzt stärkt es nicht nur dich, sondern auch deine Beziehungen. Hilfe annehmen ist demnach alles andere als schwach, sondern eine der stärksten Entscheidungen, die man treffen kann!
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